Kreative Kinder-Reiche
Diese Frau weiß, was Familien brauchen: Anja Preuster und ihr Mann haben zehn Wunschkinder. Um junge Mütter aus der Isolation zu holen, gründete die Sozialpädagogin in den 1980er-Jahren in Traunstein ein Mütterzentrum: als niedrigschwellige Anlaufstelle, die rasch und flexibel auf die Bedürfnisse von Familien reagieren kann. Aus dem Mütterzentrum entspann sich ein reges und kreatives Familiennetzwerk mit passgenauen Angeboten für erwerbstätige Eltern, mit Kitas und Catering-Service – und mit Anja Preuster als herzlich vorantreibender Kraft.
Anja Preuster: einfach sozial
Schon als Schülerin wusste Anja Preuster: Sie würde irgendwann mit Kindern und Familie arbeiten. Weil sie Menschen liebt und aus ganz praktischen Gründen; sie wünschte sich selbst Kinder, drei oder vier, und dachte, dass sich ein Familienberuf gut mit einer eigenen Familie vereinbaren ließe. Anja Preuster ist ein zielstrebiger Mensch. Früh bekam sie ihr erstes Kind; anschließend startete sie sofort ins Sozialpädagogik-Studium. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes gründete sie in Traunstein eine Stillgruppe. Sie stellte fest: Viele Mütter besuchten die Gruppe auch noch lange nach dem Abstillen. Es war Mitte der 1980er-Jahre; junge Mütter hatten kaum Treffpunkte „draußen“, keine Foren für Gespräche über Brei und Babyblues, über Kinder und die Welt, und manchmal kaum Kontakt zu anderen Müttern, die sie schnell mal um Rat fragen konnten.
Die Mutter des Mütterzentrums Traunstein
Zufällig stieß Anja Preuster auf einen Artikel über die deutschlandweit ersten Mütterzentren, die Ende der 1970er-Jahre als Modellprojekte entstanden waren. Ein Konzept, von Müttern entwickelt, genau auf deren Bedürfnisse zugeschnitten und bei Bedarf immer wieder angepasst, oder, wie Anja Preuster es heute formuliert: „Familienpolitik, die von unten nach oben wächst.“: Anja Preusters Vorstellung von einer Anlaufstelle für Mütter hatte plötzlich einen Namen: ein Mütterzentrum für Traunstein! Schnell gewann sie erste Gleichgesinnte; am Samstag bauten sie einen Infostand in der Traunsteiner Fußgängerzone auf und sprachen Eltern an. Die vergaßen ihre Einkaufszettel und diskutierten darüber, was ein Mütterzentrum bieten sollte. Wer das Mütterzentrum besuchen oder selbst mitarbeiten wollte, trug sich in eine Adressliste ein.
Kurz erklärt: Mütterzentren
„Mütterzentren sind Orte der Begegnung, Beteiligung und des freiwilligen Engagements“, heißt es auf der Website des Bundesverbands der Mütterzentren e. V. „Sie stellen die Bedürfnisse, Interessen und Lebenslagen von Frauen*, Müttern und Familien in den Mittelpunkt. Hier entstehen innovative Angebote, Initiativen, Projekte und Dienstleistungen, die allen zugute kommen.“ Zurzeit gibt es in Deutschland rund 400 Mütterzentren. Sie sind selbstverwaltet, getragen von ehrenamtlichen Kräften und sprechen nicht nur Mütter an, sondern verstehen sich im Sinne der Nachbarschaftshilfe als „Offene Häuser für Jung und Alt“. Mehr erfahren: zum Bayerischen Landesverband der Mütterzentren
Schon zwei Wochen später kam zum ersten Mal der Arbeitskreis „Modellprojekt Mütterzentrum“ zusammen, knapp 20 junge Eltern, überwiegend Mütter, auch einige Väter. Von nun an trafen sie sich jede Woche, immer, auch während der Ferien, gruben sich tief ins Thema ein, legten Ziele fest und verteilten Aufgaben. Jede und jeder brachte eigene Stärken ein; die Justizbeamtin aus dem Registergericht wusste, wie man einen Verein gründet, die Unternehmerin haftete für die Mietzahlungen. Gemeinsam schafften sie alles. Auch den Haushaltsplan fürs erste Jahr, stolze 120.000 Mark. „Ich habe nicht immer gut geschlafen“, gibt Anja Preuster zu. Sie war damals gerade mal 22. „Aber ich war sehr vom Erfolg überzeugt, weil die Idee eine so große Begeisterung in der Kommune ausgelöst hatte.“
Strümpfe stricken? Nein, danke!
Anja Preuster brachte ihr drittes Kind zur Welt und machte weiter. Als das Konzept für ein Mütterzentrum mit offenem Treff, Kinderbetreuung, Spielgruppe, Beratungs- und Kursangebot stand, bewarb sich die Gruppe um eine Anschubfinanzierung. Um als Modellprojekt angenommen zu werden, war auch eine Förderzusage der Kommune nötig. Anja Preuster ging ins Rathaus. Dort empfahl ihr ein Verantwortlicher, sie solle doch lieber heimgehen und Strümpfe stricken, statt einen „Kaffeeklatsch für Frauen“ zu organisieren. Anja Preuster ging nicht heim, sondern klopfte an weitere Türen, so lange, bis sie eine Förderzusage in der Hand hielt. Ende 1986 bekam die Gruppe die Genehmigung, im selben Jahr eröffnete das Mütterzentrum, kurz: MüZE, in angemieteten Räumen.
Die 180 Quadratmeter, erinnert sich Anja Preuster, „platzten vom ersten Tag an aus allen Nähten, wir hatten jeden Werktag geöffnet, die Hütte war immer proppenvoll.“ Viele Mütter und auch einige Väter arbeiteten aktiv mit, im Café-, Kinder- und Stubendienst. Selbsthilfegruppen entstanden, moderierte Treffen zu Elternthemen von Zahnpflege bis Schlaf, eine Kurzzeitbetreuung und Beratungsangebote nach dem Ansatz „Laien für Laien“. Um Familien bei Bedarf an passende Beratungsprofis zu vermitteln, vernetzte sich das Mütterzentrum eng mit den Beratungsstellen in der Region, von der Erziehungsberatungsstelle bis zur Schuldnerberatung.
„Durch das MüZe wurden feministische Gedanken in die Familien getragen“, schildert Anja Preuster. „Frauen haben durchgesetzt, dass sie einen Abend pro Woche nicht zu Hause waren, sondern im Mütterzentrum. Oder auch ein paar Tage auf Fortbildung. Da war dann bei vielen Frauen auch mal dicke Luft zu Hause. Aber sie sind aufgeblüht, wenn sie sich durchgesetzt haben – und wenn sie die Kompetenz, die sie im Studium oder im Beruf erworben hatten, endlich mal wieder einsetzen konnten.“
Das Konzept des Mütterzentrums hat sich „ganz stark weiterentwickelt“, sagt Anja Preuster. „Heute hockt keine Mutter mehr zehn Jahre lang mit den Kindern zu Hause. Viele Mütter nehmen nur ein, zwei Jahre Elternzeit, diese Phase ist irrsinnig konzentriert und schnell vorbei.“ Für viele Mütter sei nicht die Isolation das große Thema, sondern die Doppelbelastung aus Erwerbstätigkeit und Familienarbeit, die zum größten Teil an den Frauen hängen bleibe: „Alle sind wahnsinnig gestresst.“ Die Angebote im Mütterzentrum haben sich mit den Bedürfnissen der Mütter verändert; die Haltung ist dieselbe wie zur Gründungszeit: „Eltern wollen nicht den belehrenden Blick von oben. Sie wollen mitgestalten und einander auf Augenhöhe unterstützen.“
Die Angebote im Mütterzentrum haben sich verändert, aber nicht die Haltung: Eltern wollen nicht den belehrenden Blick von oben. Sie wollen mitgestalten und einander auf Augenhöhe unterstützen.
Müttern Zukunft eröffnen und sie im Alltag unterstützen
Seit den MüZe-Anfangsjahren dreht sich das Kursangebot längst nicht nur um Familienthemen. Das Mütterzentrum bietet auch Computerkurse und berufsqualifizierende Maßnahmen. „Auch im Ehrenamt erwerben ganz viele Mütter bei uns Fähigkeiten, die für den Beruf hilfreich sind“, ergänzt Anja Preuster, „von der Organisation bis zur Konfliktfähigkeit. Sie können sich erproben, ihre Stärken entdecken, zum Beispiel als Kursleiterin, und über sich hinauswachsen.“ Dabei bekommen sie immer alltagstaugliche Unterstützung und Entlastung. Zum Beispiel, wenn das Kind zahnt und eine Nacht hindurch weint. „Dann kann die Mutter auch mal das Kind für zwei Stunden abgeben und sich nebenan schlafen legen.“
70 fest angestellte Beschäftigte hat das Mütterzentrum Traunstein samt Kitas und Catering-Service heute. „Es ist schon der Hammer, wie viele Arbeitsplätze wir geschaffen haben“, staunt Anja Preuster selbst. Ganz bewusst stellt sie alleinerziehende Mütter und ältere Fachkräfte ein, die auf dem Arbeitsmarkt oft weniger Chancen haben. „Ich will Frauen fördern! Alleinerziehende Mütter sind so gut im Job! Und mein Gott, dann fehlen sie halt mal, wenn das Kind krank ist. Dafür revanchieren sie sich mit hoher Loyalität.“
Anja Preusters Methode: hinschauen, zuhören, handeln
Was brauchen Mütter? Was stärkt Frauen? Welche Bedürfnisse haben Kinder und Familien? Anja Preuster schaut genau hin, hört aufmerksam zu, fragt nach, seit Jahrzehnten. Sie trifft Mütter, die Vollzeit arbeiten, auch im Schichtdienst, in der Industrie oder in der Pflege, und an der fehlenden Kinderbetreuung verzweifeln. Sie hört die Klagen berufstätiger Mütter, die es nach Dienstschluss gerade noch rechtzeitig zur Kita schaffen, aber nicht mehr in den Supermarkt. Sie bekommt den Frust übers Schulessen mit, bei Kindern, Eltern und Schulleitungen. Sie redet mit älteren Menschen, die einen netten Treffpunkt suchen. Und sie begegnet Frauen, die häusliche Gewalt erleben und nicht wissen, wo sie Rat finden, und im äußersten Fall einen geschützten Zufluchtsort.
„Vor gut 30 Jahren saß ich abends mit einer Kollegin an der Abrechnung, als plötzlich eine Frau in der Tür stand und sagte, sie könne nicht mehr nach Hause“, erinnert sich Anja Preuster. „Da haben wir festgestellt, dass es in der Region keine Anlaufstelle für gewaltbetroffene Frauen gab.“ Der ersten hilfesuchenden Frau folgten viele weitere; wenn Anja Preuster und das MüZe-Team keine andere Lösung fanden, nahmen sie die Frauen schon mal mit nach Hause. Keine Lösung auf Dauer, es musste gehandelt werden. Das Mütterzentrum legte dem Landratsamt ein überzeugendes Konzept für die Betreuung einer Krisenwohnung vor – und bekam den Zuschlag. 1991 war die Einrichtung bezugsfertig und der 24-Stunden-Notruf freigeschaltet. Tagsüber erreichen Notrufe seither das Landratsamt, nachts geht Anja Preuster ans Telefon, ehrenamtlich, seit mehr als 30 Jahren.
„Wer in Not ist, soll nicht mit einem Anrufbeantworter sprechen müssen“, sagt Anja Preuster schlicht. Vier- bis fünfmal pro Monat erreicht sie der Notruf einer gewaltbetroffenen Frau, dann beruhigt, klärt und organisiert sie. Sie ging ans Telefon, wenn sich ihre Familie gerade um den Weihnachtsbaum versammelt hatte, bei der Erstkommunion und im Kreißsaal, als sie eines ihrer Kinder gebar. Kurz vor den Presswehen hatte sie die nötige Hilfe aktiviert. Dann schaltete Anja Preuster vorübergehend ihr Handy aus.
Ein Mütterzentrum, viele „Kinder“
Wenn Anja Preuster einen Bedarf feststellt, dann handelt sie. So entstanden unter dem Dach des Mütterzentrums Traunstein nach dem 24-Stunden-Notruf eine Kindertagesstätte, die werktags von 7 bis 18 Uhr geöffnet hat, eine Betriebs-Kita, deren Öffnungszeiten an den Schichtbetrieb angepasst sind, und ein Catering-Service für Kitas und Schulen. Eine Kita fürs örtliche Krankenhaus ist geplant, „das ist der größte Arbeitgeber am Ort, die wollen einen 24-Stunden-Betrieb“, zählt Anja Preuster auf und wirkt, als komme das nächste Großprojekt ihrem Tatendrang gerade recht.
Angebote für Eltern müssen nicht nur bei Sonnenschein funktionieren, sondern auch wenn’s mal ungemütlicher wird. Anja Preuster achtet auf eine wasserdichte und krisenfeste Konzeption. Ein Beispiel: Eltern müssen freinehmen, weil in der Kita mal wieder ein Infekt umgeht, Fachkräfte ausfallen und Gruppen vorübergehend schließen? Geht gar nicht, findet die MüZe-Leiterin. Die Lösung: „Wir haben einen Pool von ehrenamtlichen Fachkräften, die bei Bedarf einspringen“, erklärt sie. „Bei uns kommt es nicht vor, dass eine Gruppe geschlossen wird oder eine einzige Betreuerin mit einer Gruppe allein ist.“
Mittagessen für Schulkinder auch während der Corona-Lockdowns
Flexibel reagieren, auch und gerade in der Krise: Diese Stärke bewies das MüZe unter Leitung von Anja Preuster auch während der Corona-Pandemie, ganz nach der Devise: Zusammenhalt geht durch den Magen! Der Mittagstisch im Mütterzentrum zog schon immer Eltern und Kinder an. Eines Tages kam die Anfrage, ob man die nahe gelegene Grundschule nicht mitversorgen könne. Heute kocht der Catering-Service des Mütterzentrums täglich 700 Portionen unter dem Motto „gesund und lecker“. Und wenn zu Hause mal wieder die Zeit zum Kochen fehlt, „dann rufen die Eltern einfach an, sagen: Ich brauche Essen für drei Leute, bringen ihre Behälter mit und bekommen ihr Essen“, beschreibt die MüZe-Leiterin.
Während der Corona-Lockdowns übernahm das Mütterzentrum eine weitere wichtige Rolle: „Arme Familien sind auf das Schulessen für ihre Kinder angewiesen. Als das wegfiel, weil die Schulen geschlossen waren, konnten die Familien im Mütterzentrum die Essensgutscheine für ihre Kinder einlösen. Für einen Euro gab es eine Erwachsenenportion dazu.“ Flexibilität ist eine Kernkompetenz von Anja Preuster, gewachsen und gestählt im Großfamilien-Alltag daheim und hundertfach bewährt im Mütterzentrum. Wenn Familien eine Lösung brauchen, dann entwickelt sie eine, schnell und passgenau.
Ein Job, der sich nicht in Stunden bemessen lässt
Fast drei Jahrzehnte lang engagierte sich Anja Preuster ehrenamtlich und auf Minijob-Basis im Mütterzentrum; neben der Kindererziehung und der Familienarbeit daheim stemmte sie Verantwortung und Aufgaben vom Umfang eines Vollzeitjobs. Ihr Mann arbeitet als Notfallmediziner, mindestens 45 Stunden pro Woche. „Nach der Nachtschicht brachte er die Kinder zur Schule und in die Kita und legte sich dann schlafen – wenn nicht gerade ein Kind krank war oder Arzttermine anstanden ...“ Seit 2014 ist die MüZe-Leiterin fest angestellt in Teilzeit. Doch ihr Engagement fürs Mütterzentrum lässt sich in Stunden nicht bemessen. Die Einrichtung ist für sie wie ein weiteres Kind, das zwölfte. Das zwölfte? „Das elfte“, sagt Anja Preuster, „lebt bei uns zu Hause und hat ein Fell.“
Dreimal drei Kinder. Und dann noch eins
Apropos Kinder. Über die müssen wir mit der Schöpferin der vielfältigen Kinder-Reiche auch endlich reden. Ihre ersten drei bekam Anja Preuster im Abstand von je zwei Jahren. „Dann war sieben Jahre Pause. Irgendwann dachten alle: Ein Baby wär’ total nett! Aber als dann die vierte kam, war sie so furchtbar allein ...“ So folgte auf die erste Dreiergruppe eine zweite. Und dann noch eine dritte. Und schließlich ein Nachzügler, heute 13 (Anja Preuster: „Er hat mindestens vier Mütter und wird wohl noch mit 40 ´kleiner Bruder´ heißen!“ und ein begehrter Spielkamerad der Preusterschen Enkelkinder. Anja Preuster lächelt noch breiter. „Meine Freundinnen sagten mir, du bist so doof, du fängst immer wieder von vorn an! Aber ich wollte immer Zeit haben für die Kinder, ich wollte jedem Kind beim Start ins Leben so helfen, wie wir uns das vorgestellt haben. Kinder brauchen Zeit zum Reifen und Wachsen. Die laufen nicht einfach so mit, die erziehen sich auch nicht gegenseitig. Ich musste als Kind selbst immer kleine Quälfrösche mitschleppen; ich wollte nicht, dass sich die Größeren immer um die Kleinen kümmern müssen. Die brauchen doch selbst Unterstützung bei ihren Themen.“
10 Kinder, 40 Elternjahre, geteilte Sorgearbeit
Nach der Geburt ihres ersten Kindes, einem Sohn, war Anja Preuster so unsicher wie alle jungen Mütter. „Ich bin nicht mal aufs Klo gegangen, weil ich Angst hatte, er kriegt einen Knacks, wenn er mal schreit.“ Heute prägt Anja Preuster ihre „professionelle Gelassenheit“. Anja Preuster und ihr Mann haben rund 150 Geburtstagspartys organisiert, gefühlte Millionen mal Hausaufgaben kontrolliert, saßen in Hunderten Elternabend-Stuhlkreisen, klebten Tausende Pflaster auf blutige Knie, trösten seit 30 Jahren liebeskummerkranke Teenager und schlossen so um die 50.000-mal ein untröstliches, glücksprudelndes, schläfriges oder mega-knatschiges Kind in den Arm. So viel Familie braucht ein starkes Team: „Mein Mann hat den Mental Load auch immer im Kopf, vom Geschenk für den Kindergeburtstag bis zum Zahnarzttermin“, bekräftigt Anja Preuster und fügt hinzu: „Und auch die Hausarbeit! Es ist wichtig, dass Jungs das von ihren Vätern vorgelebt bekommen. Unsere Schwiegertöchter sind sehr zufrieden.“
Mein Mann hat den Mental Load auch immer im Kopf, vom Geschenk für den Kindergeburtstag bis zum Zahnarzttermin. Und auch die Hausarbeit! Es ist wichtig, dass Jungs das von ihren Vätern vorgelebt bekommen. Unsere Schwiegertöchter sind sehr zufrieden.
Und heute? Weniger Trubel, schade!
Zwei Kinder wohnen noch zu Hause, die jüngste Tochter, die schon in der Ausbildung ist, und der Teenage-Sohn. Der Familientisch ist jetzt meist kürzer; nur an Weihnachten werden alle Einlegbretter eingesetzt. Dann kommen die acht Großen nach Hause, immer, unbedingt. Als ein Sohn Ende 2022 erfährt, dass er nicht dabei sein kann, Notdienst schieben muss im Job, „hat er Rotz und Wasser geheult“, sagt Anja Preuster und klingt drei Wochen vorm Weihnachtsfest selbst ein bisschen angefasst; auch bei zehn Kindern kommt es auf jedes einzelne an.
Überhaupt die Weihnachtszeit. Anja Preuster vermisst den Trubel und die Vorfreude, die früher durchs ganze Haus vibrierten. Heute trabt keine Kinderschar mehr aufgeregt treppauf und treppab, weil ein Kind ein goldenes Engelshaar gefunden hat und nun mit den Geschwistern (haar-)genau einteilen muss, wer den kostbaren Festvorboten wie lange mit sich herumtragen darf ... Andererseits haben es die Preusters jetzt zu fünft ziemlich gemütlich, die vier Zweibeiner und der Familienhund. „An vielen Tagen genießen wir die Ruhe; dann schauen wir auch mal mit den beiden Kleinen die ganzen alten Bruce-Willis-Filme ...“
Was Anja Preuster überhaupt nicht vermisst: den Krach. Anja Preuster erzählt vom Mittagessen, wenn alle aus der Kita und der Schule kamen und so viel zu berichten und zu verarbeiten hatten, Triumphe und Niederlagen, dabei um die Aufmerksamkeit der Eltern wetteiferten mit immer lauterem Geschrei. „Das brauche ich nicht mehr“, sagt sie und ihr Lachen geht in ein Stöhnen über. Was sie auch nicht mehr braucht: die Großwäscherei. Früher schichtete sie jeden Tag zwei Ladungen Wäsche in die Maschine und dann in den Trockner. Anschließend mussten Kleidung, Bettwäsche und Handtücher sofort zusammengelegt und in die Schränke geräumt werden: „Wenn du nicht dranbleibst“, sagt Anja Preuster, „dann bist du verloren: Organisation ist in einer großen Familie alles!“ Ein paar Jahre lang hatten die Preusters eine Putzhilfe, da waren die ersten drei Kinder noch ganz klein. „Als sie in Rente ging, habe ich keine gute mehr gefunden. Also haben wir alles selbst gemacht. Jedes Kind hatte eine Aufgabe, zum Beispiel beim Hausputz am Samstag. Jeder wusste, was er zu tun hat, da waren wir in zwei Stunden fertig.“
Heute läuft die Waschmaschine bei den Preusters nur noch einmal pro Woche. Viele ihrer Töpfe hat Anja Preuster weggegeben. Früher kochte sie jeden Tag „für zwölf, vierzehn oder sechzehn Leute, es kamen ja auch immer Freunde der Kinder zu Besuch.“ Das Lieblingsgericht der Familie: Lasagne. Es dauerte lange, bis Anja Preuster sich an die kleineren Mengen gewöhnte, anfangs kam oft tagelang aufgewärmtes Resteessen auf den Tisch.
Es ist beglückend, kleine, frische, unfertige Menschlein ins Leben zu begleiten. Ihnen zu helfen, bis sie flügge werden und zu erleben, wie jedes seinen Weg geht ... Es ist toll, wenn Lehrer sagen: Ich hab‘ Glück, ich hab‘ ein Preuster-Kind in der Klasse! Das macht mich auch stolz...
Die Familie daheim ist kleiner geworden, das Mütterzentrum wächst. Im Spielzimmer krabbelt schon die dritte MüZe-Generation. Anja Preuster hat ein neues Projekt im Blick, sie möchte in Traunstein ein Geburtshaus einrichten. Viele schwangere Frauen haben Interesse angemeldet, es gäbe auch passende Räume, aber noch fehlt es an den Hebammen ... Anja Preuster hält weiter den Blick aufs Ganze gerichtet und auf die vielen einzelnen Menschen, die im Mütterzentrum und seinen Einrichtungen Rat und Hilfe suchen. Nach der Arbeit fährt sie eine halbe Stunde nach Hause. Sie nutzt die Zeit, um über einzelne Fälle nachzudenken. Wenn sie vor ihrem Großfamilienhaus aussteigt, lässt sie die Gedanken im Auto und sperrt ab. Kleine Rituale helfen ihr, abzuschalten und Kraft zu schöpfen. Die Endfünfzigerin möchte noch eine ganze Weile weitermachen im Mütterzentrum, vielleicht auch über den Renteneintritt hinaus. Sie wünscht sich, „dass ich in zehn, fünfzehn Jahren aussteigen kann und es gut weiterläuft.“
7 schnelle Fragen an eine 10-fache Mutter
„Mein Motor ist die Menschenfreundlichkeit. Ich möchte das Dasein von Familien verbessern – auch, damit die Entscheidung für ein weiteres Kind nicht von äußeren Gegebenheiten abhängt.“
„Im Ehrenamt und im Beruf ist es die Erfahrung, von anderen enttäuscht zu werden: Da kriege ich keine Hornhaut. In solchen Momenten ist die Familie meine Stärke. Sie relativiert den Druck von außen und den Schmerz. Und in der Großfamilie: wenn einer nach dem anderem krank wurde. Kopfläuse und Scharlach: Das war viele Jahre ein Horror für meinen Mann und mich.“
„Auf meine Kinder, natürlich, und auf meinen Mann: Wir haben eine so tolle Partnerschaft. Ich bin auch stolz, dass wir unseren Kindern diese Partnerschaftlichkeit vorleben: dass Frauen und Männer gleich viel wert sind und alles gleich machen. Wir bekommen von unseren Kindern gespiegelt, dass wir sehr viel richtig gemacht und gut vorgelebt haben.“
„Ich war seltenst in der Gefahr, auszubrennen, vielleicht auch durch die Fachlichkeit: Ich betreibe Selbstfürsorge und engagiere mich für andere, aber ich leide nicht mit. Ich weiß: Wenn ich nicht auf mich aufpasse, kann ich nichts für andere tun. Ich hatte auch immer viele, die mitgemacht haben. Klar, am Ende des Tages trage ich die Verantwortung allein, aber alles andere verteilt sich auf viele Schultern. Und es hat mich auch gestärkt, wahrgenommen zu werden, bis in die Landespolitik.“
„Mein Mann! Meine Lesestunden! Ich fresse Bücher, Fachbücher wie Romane, und lese immer mehrere parallel. Und meine Wellnessurlaube. Die liebe ich sehr und weil das inzwischen alle wissen, bekomme ich auch öfter einen geschenkt.“
„Traut euch, stürzt euch einfach rein ins Abenteuer Familie. Kinder sind so bereichernd. Kleine Menschen aufwachsen zu sehen, ist super, total lebenserfüllend. Ich möchte keine Minute missen. Außer die Tage, an denen der Brechdurchfall die ganze Familie erwischte, einen nach dem anderen, und eine gewisse rote Schüssel ständig durchs Haus kreiste.“
„Holt euch Hilfe, zum Beispiel im Mütterzentrum in eurem Ort.
Macht euch nicht so viele Gedanken.
Versucht die Zeit zu genießen, sie geht so wahnsinnig schnell vorbei!“
Anja Preuster: meine Botschaft
Frauen in Bayern können alles erreichen. Familie und Beruf lassen sich vereinbaren, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind.