Die Wandelbare
Von der Krankenschwester zur Ingenieurin, von der Mitarbeiterin zur Gründerin und Leiterin von mehreren Unternehmen. Für Mai Dang-Goy kommt Stillstand nicht infrage. Als Migrationskind musste sie viele Hürden überwinden, um dort hinzugelangen, wo sie heute steht. Mit ihrem ehrenamtlichen Engagement stärkt sie andere Frauen und Kinder, auf ihre einzigartigen Ressourcen und Talente zu vertrauen.
Über …
Als Flüchtlingskind kam Mai Dang-Goy 1980 mit ihren Eltern und zwei Geschwistern nach Deutschland. Sie erwarb an der Hauptschule die Mittlere Reife und machte im Anschluss eine Ausbildung zur Krankenschwester. Doch Stillstand ist nichts für Mai Dang-Goy: Sie holte ihr Abitur nach, studierte Bauingenieurwesen und stieg bei der Dussmann Group bis zum Regionalvorstand Asien auf, trug Verantwortung für über 5000 Mitarbeitende und war eine TOP-Führungskraft. Allerdings beschlich sie auch hier das Gefühl von Stagnation. Heute arbeitet sie als Persönlichkeits- und Organisationsentwicklerin mit drei weiteren Partnerinnen in ihrem eigenen Beratungsunternehmen. Diese Wandelbarkeit gibt sie auch an andere Frauen weiter und ermutigt sie, Neues zu wagen und die eigenen Talente in Stärken umzuwandeln.
Neues wagen: Mai Dang-Goy im Gespräch mit Daniela Arnu (Bayerischer Rundfunk).
Daniela Arnu: Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcast-Folge des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Es geht um „Bayerns Frauen. Jede anders stark!“. Und eine der ausgewählten besonders starken Frauen sitzt mir gegenüber: Mai Dang-Goy. Hallo, herzlich willkommen.
Mai Dang-Goy: Ja, hallo, ich freue mich total. Danke.
Daniela Arnu: Frau Dang-Goy, ich steige gleich mitten rein: Sie sind Unternehmerin, und ich frage Sie: Sie bezeichnen sich dabei als eine Erfolgsmacherin. Was bedeutet für Sie Erfolg?
Mai Dang-Goy: Erfolg ist für mich erst mal auch eine Definition, da es was sehr Persönliches ist. Also erst mal, was bezeichne ich als Erfolg? Und ich weiß auch, dass mein Erfolg nicht unbedingt immer der Erfolg von dem anderen ist, was er darunter versteht. Das hat damit zu tun, wo ich gerade im Leben stehe, und was mir gerade in diesem Leben wichtig ist. Ob das jetzt beruflicher Natur ist, ob es mehr im privaten Schwerpunkt liegt, sich darauf zu konzentrieren, dass der Erfolg, den ich jetzt verfolge, dass der zu mir passt, dass es mein Erfolg ist.
Daniela Arnu: Auf Ihrer Website springen Sie einem gleich mit einem breiten Lachen und voller Stärke entgegen. Seit wann würden Sie sagen: „Ich bin eine starke Frau?“
Mai Dang-Goy: Ja, wenn ich jetzt so zurückblicke, nach der Zeit mit meiner Firma würde ich sagen … also, ich sag das so: Ich stand damals kurz vorm Burn-out. Und durch ein Coaching, das ich hatte, und in der Führungsrolle, in der ich war, habe ich erkannt, wo meine Grenzen sind, und gelernt, diese Grenzen zu akzeptieren. Das war wichtig. Und mit dieser neuen Erfahrung, mit der ich dann rausgegangen bin – da möchte ich sagen, da bin ich stark, weil ich wusste, wie ich auf meine eigenen Grenzen auch immer achten muss und soll.
Daniela Arnu: Nur damit ich es verstehe: Das war der Zeitpunkt, als Sie dann gewechselt sind in die Selbstständigkeit, oder war das vorher?
Mai Dang-Goy: Nein, das war vorher. Ich beschreibe das immer als angestellte Unternehmertätigkeit. Und dann hatte ich da meine erste Führungsrolle. Heute heißt es Intrapreneurship. Das war tatsächlich zu der Zeit, wo ich die erste Führungsrolle mit disziplinarischer Mitarbeiterverantwortung hatte.
Daniela Arnu: Haben Sie das Gefühl, Sie sind darauf schlecht vorbereitet worden?
Mai Dang-Goy: Nein, nicht schlecht vorbereitet, aber ich habe Bedingungen gestellt. Tatsächlich, weil man hat mir diese Rolle angetragen oder mir natürlich diese Beförderung angetragen. Und das war zu einer Zeit, da war das Projekt in einer Krise. Und ich war da schon so gesehen Teamleiterin für den technischen Bereich, und es ging darum, die Gesamtverantwortung als Projektleiterin des Projekts zu übernehmen und zu wissen: Okay, das Projekt ist nicht gerade in bester Lage, und du musst jetzt helfen, dieses Projekt zu wuppen. Ich sag’ immer so: Diesen Tanker vor dem Versinken zu retten, das war keine einfache Situation. So ein erstes Projekt zu bekommen, ganz neu in der Rolle. Was ich getan habe, Gott sei Dank, war, dass ich die Bedingung gestellt habe, wenn ich es tue, unabhängig vom Finanziellen: „Es ist eine neue Rolle für mich als Führungskraft. Ich hätte gerne einen Coach, den die Firma bezahlt, der mich jetzt dabei begleitet.“
Daniela Arnu: Auch ein guter Tipp für viele andere Frauen.
Mai Dang-Goy: Unbedingt. Also nicht nur zu sagen, der Gehaltsbestandteil der Verhandlung, der muss sich im Geld auswirken, sondern ich habe hier ganz klar gemerkt, es ist eine neue Rolle für mich, und da brauche ich externe Unterstützung.
Daniela Arnu: Sie sagen, es ist eine neue Rolle. Sie haben studiert und sind Bauingenieurin. Es ist also eine Männerdomäne. Inwieweit hat es eine Rolle gespielt, dass Sie da dann eine Führungskraft als Frau in einer Männerwelt wurden?
Mai Dang-Goy: Eine Rolle … also, ich habe das natürlich wahrgenommen, egal wo ich war, dass – in Anführungsstrichen – ich vom Geschlecht her eine Seltenheit bin. Jedoch habe ich für mich immer gesagt: „Ja, das ist halt so, ich nehme das jetzt erst mal so wahr.“ Und mit den Kollegen oder auch mit meinen Chefs ging es ja auch immer um die Inhalte der Projekte. Und ich bin ein sehr lösungsorientierter Mensch und beziehe mich auf die Sache, auch wenn es darum geht, den Menschen zu berücksichtigen und wahrzunehmen, weil es immer um Zusammenarbeit geht.
Daniela Arnu: Das heißt, es ist eben eine Mischung aus fachlicher Arbeit, aber eben auch aus zwischenmenschlichen Aspekten, die man weiter berücksichtigen muss.
Mai Dang-Goy: Unbedingt, unbedingt!
Daniela Arnu: Jetzt wollen wir mal ein bisschen auf ihre Biografie schauen: Sie sind 1980 als Kind mit Ihren Geschwistern nach Deutschland gekommen. Herkunft ist Laos, dazwischen waren Sie noch ein Jahr mit den Eltern in Thailand. Wie schwer war der Start in Deutschland für Sie?
Mai Dang-Goy: Ja, also für mich persönlich weniger als für meine Eltern, die natürlich ihre Heimatkultur verlassen haben. Ich weiß aus Erzählungen, dass allein der Weg oder die Flucht von Laos nach Thailand natürlich auch mit Lebensrisiken und Bedrohungen zu tun hatte… ob das jetzt Räuber waren…, und dann aber auch noch mal diese Ungewissheit, in dem Flüchtlingslager in Thailand ein Jahr zu leben. Ich habe keine Erinnerungen mehr, ich weiß nur, da ich selbst Mutter bin, man nimmt als Kind die Schwingungen auf von den Eltern, und die waren natürlich von Angst geprägt. Und in meiner Zeit dann hier in Deutschland: Ich habe manchmal Erinnerungen im Sinne von „Werde ich verstanden?“. Ich bin dann in den Kindergarten gekommen. Natürlich hatte ich noch nie Deutsch gesprochen, nie Deutsch gehört, und dann in einer Gruppe zu sein mit Menschen, die einen nicht verstehen, und man sich nicht ausdrücken kann.
Daniela Arnu: Wie haben Sie dann – und wie schnell auch – Deutsch gelernt?
Mai Dang-Goy: Ja, ich habe das anscheinend innerhalb des einen Jahrs Kindergarten gelernt, weil ich tatsächlich nach einem Jahr dann auch eingeschult wurde und habe dann also … ich war im Kindergarten mit sechs, und dann bin ich erst mit sieben eingeschult worden. #00:06:35-8#
Daniela Arnu: Aber das heißt ja, dass Sie sich tatsächlich in den ersten Wochen und Monaten fremd gefühlt haben, weil Sie auch nicht kommunizieren konnten. Können Sie sich erinnern, wann es plötzlich für Sie als Kind auch ganz normal war, in Deutschland in die Schule zu gehen, also dass Sie sich wirklich so ein bisschen zu Hause gefühlt haben?
Mai Dang-Goy: Ja, das hatte ich in der Tat, nachdem so ein Sprachverständnis aufgebaut worden war. Vor allem ab dem Punkt, wo ich und meine ältere Schwester meinen Eltern sehr viel bei Behördengängen geholfen haben, wir also nicht mehr in der Grundschule waren und auf einmal auch nicht nur die Sprache verstanden haben, sondern ja, behördliche Formulare lesen lernten, verstehen lernten und sie auszufüllen für unsere Eltern.
Daniela Arnu: Aber auch eine ganz schöne Überforderung für ein Kind … eigentlich.
Mai Dang-Goy: Ja, in gewisser Weise schon. Heute kann ich es rückblickend so sehen: Das war eine sehr, sehr gute Lebensschule, weil ich heute verstehe, wie behördliche Antragsformulare sind, wie man ja Fristen einhalten muss. Und wenn man nicht weiterweiß, wie man sich hilft bei so Dingen. Und das war so gesehen eine sehr gute Lebensschule. Aber in der Zeit damals war das ein Sich-Durchkämpfen.
Daniela Arnu: Na ja, und es ist ja tatsächlich einfach eine frühe Verantwortung, die Sie bekommen haben. Und das kann man positiv und negativ sehen, einerseits war es wahrscheinlich zu viel, andererseits haben Sie es gelernt.
Mai Dang-Goy: Richtig, diese Verantwortungsübernahme, ungewollt oder unbewusst. Und dadurch ist später – was ich kurz beschrieben habe – auch der blinde Fleck entstanden. Dass ich vielleicht nicht immer gesehen habe, wo sind meine Grenzen, und dass ich erst fast über meine Grenzen hinausgehen musste, um zu erkennen, aha, auch Verantwortungsübernahme hat eine Grenze. Nicht nur zu meinem Selbstschutz, sondern ich behindere ja auch die anderen in ihrem persönlichen Wachstum, weil wenn ich für sie die Verantwortung übernehme, sie nicht selbst in die Verantwortung gehen können.
Daniela Arnu: Also, früh gelernt haben Sie auf jeden Fall das Thema Verantwortung. Haben Sie als Schülerin, um noch mal bei Ihrer Kindheit zu bleiben, Rassismus erlebt?
Mai Dang-Goy: Indirekt, oder ich würde es so beschreiben: Ich bin damals auf dem Schulweg einigen Kindern begegnet, meistens waren es Jungs, die dann das Wort „Ching–Chang-Chong“ gesagt haben – das kennt der eine oder andere asiatische Mitbürger wahrscheinlich auch. Und ich habe mich dann gefragt, machen die das, um einen zu ärgern, aus Unkenntnis oder so? Oder steckt tatsächlich Rassismus dahinter? Und ich wollte das schon ergründen und hab’ dann gedacht, ich muss mir so ein paar schlagfertige Sätze überlegen, um einfach auch mal in Kontakt zu treten und zu erfahren, was steckt dahinter. Und dann waren meine Sprüche: „Oh, das musst du noch ein bisschen üben. Wolltest du irgendetwas damit sagen?“ Und dann waren die meistens sehr perplex, dass ich darauf reagiert habe. Wenn ich aber gemerkt habe, da ist so eine gewisse Schwingung oder so, oder ich habe gefühlt, ich fühle mich jetzt hier nicht mehr sicher, dann habe ich sehr schnell Distanz gewonnen.
Daniela Arnu: Dann noch mal zurück zur Schule. Sie haben die mittlere Reife gemacht und erst mal eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, zur Krankenschwester, gemacht. Warum wollten Sie Krankenschwester werden?
Mai Dang-Goy: Für mich war das der vielseitigste Beruf, weil in meiner Praktikazeit in der Hauptschule ich gezielt zwei Praktika ausgesucht hatte, eins im Büro und dann eins … ich wollte eigentlich ins Krankenhaus, aber da gab es keine Plätze mehr. So bin ich in eine Arztpraxis gegangen. Und später im Berufsinformationszentrum war mir klar, ich möchte mit Menschen zu tun haben, mit Menschen arbeiten, vor allem weil ich auch in der Praktikumszeit schon wirklich mithelfen durfte. Und aussichtsreich fand ich am ehesten den Beruf der Krankenschwester – heute heißt es Gesundheits- und Krankenpfleger –, wo es die größten Perspektiven gab, sich weiterzubilden.
Daniela Arnu: Sie haben es dann eben gemacht, die Ausbildung. Sie hatten dann Kontakt zu Menschen. Wieso sind Sie danach trotzdem auf die Idee gekommen zu sagen, ich mache das Abi nach und studiere was Technisches?
Mai Dang-Goy: Ja, ich hatte meine Traumarbeitsstelle tatsächlich als Krankenschwester in der BG-Unfallklinik. Und Traumarbeitsstelle deswegen, weil man lernt in der Ausbildung, man unterscheidet … Ich nenne ganz kurz mal was Fachliches: Funktions- und Zimmerpflege. Und man hört schon allein an dem Begriff, bei dem einen muss man funktionieren und bei dem anderen, da steht der Patient tatsächlich im Mittelpunkt. Und das war tatsächlich meine Traumarbeitsstelle, und es hat viel Spaß gemacht. Aber ich habe irgendwann gemerkt, ich bin geistig nicht mehr ganz so gefordert. Ja, natürlich sind das Lebensschicksale, weil ich mit querschnittsgelähmten Menschen gearbeitet habe, doch wollte mein Geist auch gefordert werden, und da war für mich das Thema: Okay, es geht darum, jetzt weiterzugehen, weiterzulernen, mich zu fordern, intellektuell. Und nachdem ich dann für mich die Entscheidung getroffen hatte, das will ich nicht, stellte sich die Frage: „Was willst du denn?“
Daniela Arnu: Die wahrscheinlich noch schwerer zu beantworten war.
Mai Dang-Goy: Richtig, das ist tatsächlich sehr viel schwerer, das erlebe ich ja heute auch in meinen Coachings. Man kann ganz schnell sagen, was man nicht will. Wenn aber dann die Frage kommt: „Was willst du?“, dann kommt eine Stille beziehungsweise langes Grübeln … was auch gut ist, weil dann kam bei mir wirklich die Frage: „Was hast du früher gerne gemacht? Was konntest du gut, was du aber heute gar nicht mehr in deinem Beruf machst oder in dem, was du tust?“ Und so kam ich tatsächlich zu dem Schluss: Früher habe ich unheimlich gerne Mathematik gemacht, also so Dinge wie logische, rationale Themenstellungen. Und über diese innere Reise und dann auch wieder zu dem Thema Informationen einsammeln, zu schauen, was für Berufe gibt es, welche Perspektive gibt es. Und dann bin ich auf den Ingenieursberuf und zum Bauingenieurswesen gekommen.
Daniela Arnu: Und wie ist es Ihnen dann wirklich gegangen? Ich meine, man muss ja wirklich sagen, Krankenpflege ist nach wie vor eine Frauenarbeit. Es sind sehr, sehr viele Frauen, die das machen. Ingenieurswesen studieren nach wie vor auch noch viel mehr Männer. Wie war das für Sie so? Dieser Wechsel dann von einem Frauenberuf plötzlich in so eine Männerwelt hinein?
Mai Dang-Goy: Ja, das war total spannend. Ich möchte das gerne so beschreiben: Man ist sehr direkt, man achtet vielleicht nicht so auf diese empathischen Tonlagen. Da gilt es zu lernen, Dinge nicht persönlich zu nehmen. Und bei den Frauenberufen da geht es, habe ich festgestellt … es hat viel damit zu tun, wenn es ein Thema hat … mit Selbstwert. Und dass es dann dazu kommt, dass, wie Sie sagen, so ein Zickenkrieg oder Intrigen stattfinden, weil im Grunde genommen es auch um Neid und Eifersucht geht. Und dahinter steckt eigentlich nur die eigene Unsicherheit.
Daniela Arnu: Sind Sie als Frau manchmal in diesem ganzen Gewerbe unterschätzt worden?
Mai Dang-Goy: Ja, auch aufgrund meiner physischen Form. Also, ich bin ja nicht groß, ich bin klein, gerade mal 1,62 Meter, bin zierlich. Jedoch habe ich das beobachtet und für eine intelligente List genutzt im Sinne von: Ich stelle mich jetzt mal als nicht dumm hin, aber ich stelle mich jetzt auch nicht hin und sage: „Ich weiß es besser als du“, sondern ich höre mir das jetzt mal alles an, was du mir sagen möchtest, und stelle dann kritische Fragen. Und dann wirst du schon merken: Aha, die bohrt ganz schön tief rein.
Daniela Arnu: Woher haben Sie diese Sicherheit?
Mai Dang-Goy: Indem ich Dinge hinterfrage, indem ich Dinge auch auf mich wirken lasse, tatsächlich nicht immer gleich drauf reagiere. Früher war das vielleicht so, aber im Laufe der Zeit habe ich wirklich mehr und mehr Dinge erst mal wahrgenommen. Aha, da passiert gerade was, und es macht auch gerade was mit mir. Aber auch diesen Raum geöffnet, indem ich gesagt habe: „Ich lasse das jetzt erst mal wirken im Sinne von: Nicht ich mach’ das mit mir aus, sondern lasse es wirken, um es mir dann in Ruhe zu betrachten.“ Und aus dieser Selbstreflexion habe ich sehr viel für mich, auch viel Selbsterkenntnis, erlangt und dadurch gute Entscheidungen für mich getroffen.
Daniela Arnu: Klingt so ein bisschen wie einerseits sich selbst besser kennenlernen, aber sich auch die Zeit nehmen, um Prozesse oder Entscheidungen oder Reaktionen besser kennenzulernen. Also immer die eine Nacht drüber schlafen?
Mai Dang-Goy: Ja, genau, also, das passt total gut drauf, richtig!
Daniela Arnu: Wenn Sie in Ihrer freiberuflichen Tätigkeit andere Frauen beraten, was ist denn aus Ihrer Sicht der größte Fehler, den diese mitbringen? Ist es tatsächlich, in dem Bereich zu schnell zu reagieren, zu impulsiv?
Mai Dang-Goy: Also, zu reagieren möchte ich erst mal gerne korrigieren. Es ist kein Fehler, weil wir mit Fehler auch gewisse Dinge assoziieren. Ich sage immer, es ist eine Verhaltensgewohnheit, weil da auch ein Verhaltensmuster drinsteckt. Und natürlich ist etwas, das im Außen passiert und mit uns, in uns etwas auslöst, eine Reaktion, die ist impulsiv. Und die hat ja auch eine gewisse Funktion, zum Beispiel wenn es um Schutzfunktionen geht, also wenn es lebensbedrohlich wird, da sollten wir schnell reagieren. Und da funktioniert tatsächlich unser Körper mit verschiedenen Reaktionen, ob das jetzt im Unterbewusstsein … der Hormonhaushalt wie Adrenalin und Stressreaktionen ist. Wenn wir uns aber bewusst machen: Ich bin gerade in einer Gesprächssituation, die ist nicht lebensbedrohlich. Ich empfinde aber gerade etwas, weil es in mir was ausgelöst hat. Vielleicht diesen Halt, also so eine Art inneren Halt, zu nehmen und zu sagen: „Halt mal einen kurzen Moment inne“, um sich dann zu fragen: „Reagierst du jetzt auf die Situation, oder sagst du der Person, das hat grad was mit mir gemacht? Oder möchtest du darüber nachdenken?“ Ich habe damals für mich in solchen Situationen trainiert, weil … das waren wirklich nicht einfache Situationen, weil … das macht wirklich was mit uns. Entweder sind wir emotional aufgeladen, oder wir sind emotional verunsichert. Und ich hatte mir dann gesagt: „Ich finde das jetzt erst mal eine interessante Perspektive, was gerade besprochen wird. Jedoch brauche ich tatsächlich gerade mal ein paar Minuten Zeit, um darüber nachzudenken.“
Daniela Arnu: Wie reagieren dann die Menschen rundum, wenn Sie so was sagen? Wenn Sie sagen: „Ich brauche jetzt gerade einen Moment?“
Mai Dang-Goy: Meine persönliche Erfahrung war, dass war für beide gut, weil sie dadurch festgestellt haben: Oh, ich habe bei meinem Gegenüber etwas ausgelöst. Meine Art und Weise, meine Worte bewirken etwas. Und sie konnten dadurch auch selbst mal reflektieren.
Daniela Arnu: Also, das heißt auch, in Ihrer Beratung sagen Sie Menschen: „Halt lieber mal inne, nimm dir die Zeit, nicht immer sofort impulsiv zu reagieren.“ Insgesamt, auch wenn Sie beraten oder coachen, wie bearbeiten Sie das Thema „Wie finde ich meine eigene Stärke?“?
Mai Dang-Goy: Es hat damit zu tun, ob wir das tun, was wir wirklich können und was uns Spaß macht, also wirklich mit dem Thema Spaß und Freude. Wenn wir dem folgen, wie ich das auch getan hatte … zu fragen: „Was habe ich früher noch gerne getan, was aber irgendwie liegen geblieben ist durch den Beruf, den ich gewählt habe, oder den Weg, den ich gegangen bin?“ Und dann entdecken wir auf einmal wieder etwas, wo wir sagen: „Das hat mir wirklich mal früher Spaß gemacht.“ Und dann mal auf diese Reise zu gehen und zu schauen, was ich da erlebe. Und es ist auch normal … um das auch noch mal zu betonen, dass es normal ist, dass wir auf einmal mit Gedanken kommen: Wenn du das machst, damit kann man kein Geld verdienen. Oder: Das ist überhaupt nicht angesehen, oder so. Da kommen so viele, ich sage immer, solche „Ja, aber“-Sätze.
Daniela Arnu: Also Urteile. Dass immer Urteile kommen.
Mai Dang-Goy: Genau, Urteile. Wie man geprägt wurde im eigenen Umfeld. Da kommen so viele Gegenargumente hoch. Und ich sage dann immer: „Die darfst du auch behandeln, später. Die bleiben nicht unbeachtet.“ Aber wenn es jetzt mal darum geht und wir in die Kreativität gehen sollen, müssen wir einfach auch den Raum öffnen und fragen: „Was habe ich früher gerne gemacht? Was konnte ich machen, oder wo sehe ich meine Talente und meine Stärken?“ Den Raum erst mal öffnen, und ich gebe immer die Sicherheit, diese ganzen Vorurteile oder deine Unsicherheiten oder auch Zweifel, die hochkommen, die kriegen auch ihren berechtigten Platz.
Daniela Arnu: Aber dann machen Sie es letztlich mit den Menschen, die zu Ihnen kommen, ähnlich, wie Sie es selbst gemacht haben. Nach der Krankenpflege zu fragen: „Was kann ich eigentlich, was hat mir Spaß gemacht?“ So sind Sie zum Ingenieurswesen gekommen. Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen: Sie unterstützen ehrenamtlich die Barbos-Stiftung für Kinder und Jugendliche. Was genau machen Sie da?
Mai Dang-Goy: Ja, das ist eine kreative Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen, die sozial verhaltensauffällig sind und auch aus wirtschaftlich schwachen Familien kommen. Und die Gründerin und Stifterin, Barbara Osterwald, ist Therapeutin aus dem Bereich für Arbeit am Tonfeld. Und sie hat durch ihre Arbeit, also in ihrer Haupttätigkeit, gesehen, wie viel Wirkung das erzeugt, und hat tatsächlich vor 15 Jahren eine Stiftung gegründet, um wirtschaftsschwachen Kindern zu helfen. Und wir haben Kunsttherapeutinnen und auch Tonfeld-Begleiterinnen. Und wir unterstützen damit Kinder – zum Beispiel im Flüchtlingslager Kinder mit Flucht- und Migrationshintergrund –, ihr Fluchttrauma zu bearbeiten. Da begleiten die Kunsttherapeutinnen – ob das jetzt Malen ist, ob Basteln, ob das Mit-Ton-Arbeiten. Und bei der Tonfeld-Begleitung geht es darum, dass wir Kinder und Jugendliche aus Kitas und Schulen … die kriegen dort Einzelbegleitungen. Und das ist schon mal für ein Kind was ganz Besonderes.
Daniela Arnu: Dass es gesehen wird. In dem Gespräch haben wir die ganze Zeit darüber gesprochen, dass Menschen, Frauen, Kinder, alle wollen einfach auch ein bisschen gesehen werden.
Mai Dang-Goy: Ja, genau, und das bekommen sie. Und sie arbeiten dort mit einem Kasten, worin das Tonfeld ist … und durch dieses Begreifen, Ergreifen des Tonfeldes, das Haptische. Es geht vor allem um diese haptische, sensomotorische Tätigkeit. Kinder können ihre psychischen Verletzungen nicht in Worten ausdrücken. Jedoch haben wir in unseren Händen … wie bei den Fußreflexzonen haben wir auch Handreflexzonen. Und sie lösen das dadurch, durch diese haptische Arbeit, und werden aber natürlich begleitet vom ausgebildeten Tonfeld-Personal, das natürlich auch die entsprechenden Fragen stellt. Sie stellen den Kindern Fragen: Was machen sie gerade, was ist das für eine Figur? Was bedeutet diese Figur für dieses Kind? Oder warum formt es diese Szene?
Daniela Arnu: Na ja, und man muss ja auch auffangen, wenn eine emotionale Reaktion kommt, also wenn sich da was freilegt, sozusagen. Sie haben gerade von geflüchteten Kindern gesprochen, die da auch mit dabei sein können. Sie selber sind ja eines. Hätten Sie so was gebraucht? Würden Sie sagen, dass diese Lebensgeschichte von Ihnen, als Kind geflüchtet, das hat so was wie Traumata bei Ihnen ausgelöst?
Mai Dang-Goy: Also, ganz sicher, weil … Fluchtsituationen muss man sich so vorstellen: Da geht es wirklich um Lebensbedrohung. Wir reden von Stress, aber wenn man zurücktritt: Woher kommt Stress? Stress ist eine Lebensbedrohung, und in einer Flucht, wo es ja um Leib und Leben geht, kommt das Thema: Flüchten? Kämpfen? Oder flüchten? Und es endet in einem Trauma, weil es wirklich psychische Spuren hinterlässt. Und wenn es solche Institute gibt, also wo Kinder aufgefangen werden, ist das eine immense Unterstützung. Ich kann heute sagen: Tatsächlich, hätte ich das gehabt, hätte ich vielleicht gewisse Erfahrungen oder meine psychischen Verletzungen viel schneller verarbeitet.
Daniela Arnu: Das heißt, Sie sind eine Frau, die tatsächlich auch schwierige Dinge erlebt hat, die auf Umwegen, wenn man so will, zur Bauingenieurin geworden ist und jetzt selbstständig arbeitet. Vielleicht noch mal als Schlussfrage: Was ist Ihr persönliches Rezept, wenn Sie doch mal morgens aufwachen und Zweifel haben oder tagsüber plötzlich mal so ein Zweifel hochschießt? Was ist da Ihr persönliches Rezept?
Mai Dang-Goy: Also, erst mal möchte ich voranstellen, das kommt auch heute bei mir noch vor – vor allem, weil ich mir ja auch selber Ziele setze oder sage, das möchte ich noch erreichen, und damit begebe ich mich automatisch auf einen unbekannten Weg. Und dann kommen Ängste und Zweifel hoch. Und an Tagen, wo ich das sage oder ich fühle das, konzentriere ich mich darauf: Was habe ich bereits erreicht, woher bin ich gekommen? Was hat mich gestärkt? Und daraus schöpfe ich wieder Kraft. Um zu sehen: Gerade, weil du das geschafft hast, ist das, was dir jetzt bevorsteht, wo noch vielleicht ein Zweifel ist oder was für dich nicht klar ist … schöpfe aus dem, was damals deine Strategien waren, was dir geholfen hat. Schau doch mal, was könnte dir jetzt helfen, aus dem Zweifel rauszukommen. Und das hilft.
Daniela Arnu: Ich würde fast als Resümee sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Mut zum Innehalten.
Mai Dang-Goy: Ja, das ist es in der Tat.
Daniela Arnu: Ich sage ganz vielen Dank für Ihr Schlusswort, Mai Dang-Goy. Schön, dass Sie heute hier waren, eine Frau von „Bayerns Frauen. Jede anders stark!“. Danke schön!
Mai Dang-Goy: Danke schön, vielen Dank für die Einladung.
Mai Dang-Goy: Meine Botschaft …
Macht euch bewusst, was und wohin ihr wollt. Klarheit ist entscheidend, um Verantwortung zu übernehmen. Und bildet die Grundlage dafür, um als Gestalterin aktiv zu werden.
Wenn Unternehmen keinen transparenten Prozess zur Führungskräfteentwicklung haben, ist die Benachteiligung von Frauen eher gegeben. Achtet darauf und macht Unternehmen auf diese Lücke aufmerksam.
In unserem Beratungskollektiv begleiten wir Veränderungsprojekte in männerdominierten Branchen, um den Unternehmenswert wiederherzustellen oder zu steigern. Ich und meine Geschäftspartnerinnen setzen das ein, was uns als praktizierende Führungskräfte in Projekten mit den Teams ausgezeichnet hat: erfolgreiche Zusammenarbeit, in der der Mensch wahrgenommen wird und seine Stärken ausleben darf.