Frau, die über ihre Schulter schaut und lächelt.

Die Selbstbestimmte

Für Daniela Maier zählt nur der Blick nach vorn. Vor zehn Jahren wurden der heute Anfang 40-Jährigen infolge einer Erkrankung beide Unterschenkel amputiert. Der Glaube an die eigene Selbstwirksamkeit half ihr durch diese schwere Zeit. Mit ihrer Zuversicht, ihrem Humor und ihren Erfahrungen unterstützt sie heute Menschen, die Ähnliches durchleben. 

Eine OP mit Folgen

2013 wurde Daniela Maiers Leben komplett auf den Kopf gestellt. Als sie mit einer Venenentzündung ins Krankenhaus kam, wurde die damals 30-Jährige mit dem Medikament Heparin, einem Blutverdünner, behandelt. Doch ihr Körper vertrug das Heparin nicht wie erwartet und reagierte mit Hauteinblutungen am ganzen Körper und Multiorganversagen. Die Behandlung kostete der jungen Frau aus München fast das Leben und hatte die Amputation ihrer beiden Unterschenkel zur Folge. „Mir wurde eröffnet, dass wegen einer drohenden Sepsis, also einer Blutvergiftung, die Amputation die einzige Möglichkeit sei, zu überleben. Ich habe dem damals zugestimmt, ohne zu wissen, was das für mein weiteres Leben bedeuten wird.“ 
 

Selbstbestimmung als Antrieb 

In den ersten Monaten musste Daniela Maier neben der Amputation über 40 weiteren Operationen zustimmen. In dieser Zeit fehlte es an Selbstbestimmung: Sie musste sich an die Abläufe im Krankenhaus anpassen, war ans Bett gebunden und auf fremde Hilfe angewiesen. „Ich hatte damals furchtbare Angst, dass ich dauerhaft von anderen Leuten abhängig sein werde“, erzählt sie. „Ich war schon immer sehr selbstbestimmt, bin mit 16 Jahren zu Hause ausgezogen und habe mich seitdem um meine Angelegenheiten gekümmert und Entscheidungen selbst getroffen.“ Umso mehr half es ihr, dass sie auf dem Genesungsweg immer eigenständiger wurde. „Ein kleiner Fortschritt folgte auf den nächsten. Das hat mich wieder aufgebaut. Langsam gewann ich erneut Vertrauen in meinen Körper und fühlte mich belastbarer.“ Während der vielen Monate im Krankenhaus und der anschließenden Reha musste sie sich auch mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen. Vor ihrer Amputation hatte sie keine Berührungspunkte damit. Ihre neue Lebensrealität überforderte sie und sorgte für Zukunftsängste. „Ich musste einfach erst einmal das neue Selbstbild, das ich von mir hatte, auch das Körperbild, akzeptieren. Dass es nie mehr so wird, wie es war“, erklärt sie. Gestärkt wurde sie in ihrer Genesungsphase von ihrer Familie, zu der sie nach ihrer Amputation für eine Weile zurückzog.
 

Von der Inklusion in der Arbeitswelt über barrierefreies Wohnen bis zum Nachteilsausgleich – Menschen mit Behinderung werden in Bayern in allen Bereichen unterstützt. Auf der Website des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales finden Sie einen Überblick der Unterstützungsangebote.

„Indem wir Möglichkeiten zur Begegnung schaffen und offen für andere Lebensrealitäten sind, profitieren wir von einer vielfältigen Gesellschaft, an der alle teilhaben können.“
Frau an einem Geländer lehnend, vor einem See.

Daniela Maier hat sich ihrer neuen Lebenssituation gestellt. 

Zurück im Leben

Ein Meilenstein war für Daniela Maier, als es ihr zum ersten Mal gelang, mit Prothesen zu laufen. „Das hat mir physisch und psychisch richtig viel Kraft gegeben.“ Auch das Thema Selbstwirksamkeit, der Glaube daran, etwas bewegen zu können, gab ihr Stärke. 2015, zwei Jahre später, saß die Münchnerin im Flugzeug nach New York. Die Reise war lange geplant – wegen Krankheit und Krankenhausaufenthalt hatte sie ihre Pläne ändern müssen. Eine Weile war nicht sicher, ob sie es überhaupt in die berühmte Metropole schaffen würde. „Ich weiß noch genau, wie ich oben auf dem Rockefeller Center stand, auf die Skyline schaute und dachte: ,Du hast es geschafft!‘ In diesem Moment war ich sehr stolz auf mich.“ Danach erfüllte Daniela Maier sich viele weitere Ziele: Sie machte einen Paragliding-Flug auf Madeira und eine Inseltour in Thailand.
 

Die Stärke, nach vorn zu blicken

Heute ist Daniela Maier meist nur noch wenig in ihrem Alltag eingeschränkt. Das liegt aus ihrer Sicht vor allem daran, dass sie mit ihren Prothesen von Anfang an gut zurechtgekommen ist: Sie kann diese häufig den ganzen Tag tragen und damit auftretende Barrieren ausgleichen. „Das ermöglicht mir große Freiheit. Ich kann sehr vieles wieder machen, allerdings teilweise anders als früher und mit mehr Anstrengung verbunden. Außer joggen – aber das habe ich vorher auch nicht gemacht“, scherzt sie. Ihr Humor ist für Daniela Maier, wie für andere Betroffene, ein wichtiger Begleiter im Leben. „Außenstehende finden das vielleicht makaber. Uns hilft das aber in dem Moment sehr“, berichtet sie. Zudem musste sich Daniela Maier auch in Selbstakzeptanz üben. 
 

Frau geht auf Eingang einer Messehalle zu.

Ihre vielseitigen Interessen mit Behinderung weiterzuverfolgen war Daniela Maier wichtig. 

Frau mit einem Handfächer in Regenbogenfarben in einem Park

Ihre vielseitigen Interessen mit Behinderung weiterzuverfolgen war Daniela Maier wichtig. 

Frau lehnt an einem Baum vor einem Teich.

Ihre vielseitigen Interessen mit Behinderung weiterzuverfolgen war Daniela Maier wichtig. 

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Der eigene Anspruch

In der Zeit, die sie bei ihrer Familie verbrachte, wurde Daniela Maier zunehmend bewusst, dass sie nur selbstbestimmt leben kann, wenn sie sich ihrer neuen Lebenssituation stellt. „Angehörige neigen dazu, einem so viel wie möglich abnehmen zu wollen. Aber ich denke, das ist der falsche Weg. Meine Kraft kam durchs Tun zurück. Und damit auch mein Selbstbewusstsein“, berichtet sie. Ihre Vision, wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen, trieb sie stets an: Dinge, die ihr wichtig sind, probiert sie so lange aus, bis sie einen Weg gefunden hat, diese umzusetzen. Woher sie die Kraft dafür nimmt? „Ich glaube das ist einfach mein Anspruch an mich, an mein Leben. Ich bin sehr interessiert an verschiedenen Sachen, habe bestimmt auch eine gewisse Durchsetzungskraft und lasse mich nicht so schnell unterkriegen.“ 
 

3 Fragen zur Rolle der Frau 

Ich denke, dass sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan hat. Was ich gut finde, ist, dass Frauen mehr netzwerken. Es gibt mittlerweile echt tolle Projekte und Communitys. Auch dass ein Wandel in Sachen Care-Arbeit stattfindet, ist längst überfällig. Allerdings sind die Strukturen immer noch darauf ausgelegt, dass Frauen überwiegend zurückstecken müssen, sei es mit Blick auf Karriere oder Freizeit. Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen unter einem enormen Druck stehen, all ihre Rollen perfekt auszufüllen – ob als Mutter, als Partnerin oder als Arbeitnehmerin. 

Was Frauen stärkt, ist aus meiner Sicht, dass sie andere starke Frauen in ihrer Umgebung haben. Das kann in der Familie, auf der Arbeit oder auch in der Freizeit sein. Ich bin zum Beispiel in einer Familie aufgewachsen, in der es schon starke Frauen gab. Meine beiden Großmütter waren auf sehr unterschiedliche Weise sehr starke Frauen. Die eine hat in der Nachkriegszeit einen kleinen Laden im ländlichen Raum geführt. Eine selbstständige Frau, die für das Einkommen der Familie sorgt, war in dieser Zeit sehr ungewöhnlich. Meine andere Großmutter hatte zehn Kinder, die sie alle während des Kriegs und in der Nachkriegszeit aufgezogen hat. Sie war finanziell nicht besonders gut aufgestellt, hat es aber immer geschafft, dass die Kinder zu essen und Kleidung hatten und zur Schule gegangen sind. Wer studieren wollte, konnte auch das. Das finde ich sehr beachtlich. Diese Stärke hat sich, glaube ich, auch auf mich übertragen, und ich habe mir unbewusst ein Beispiel daran genommen. Für mich bedeutet Stärke, an die eigene Selbstwirksamkeit zu glauben. Ich bin davon überzeugt, dass ich etwas bewegen kann und nicht meinem Schicksal ausgeliefert bin.

Ich wünsche mir, dass sich Frauen von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen frei machen können. Dass sie sich nicht dafür rechtfertigen müssen, warum sie keine oder noch keine Mutter sind, sich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden müssen und nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihrem Aussehen beurteilt werden. 

Neue Perspektiven

Beim Umgang mit ihrer Erkrankung und der Behinderung war ihr immer auch der Austausch mit anderen Betroffenen besonders wichtig. „Wieder aktiv zu sein und von den Erfahrungen von Menschen, die teilweise schon lange mit einer Amputation leben, zu hören hat mir geholfen und mich wieder positiv auf meinen weiteren Lebensweg blicken lassen“, erzählt sie. Inzwischen gibt Daniela Maier selbst Betroffenen Hilfestellungen. Nach ihrer Amputation eröffnete sie ihren Blog „Perspektivenwechsel mit Prothesen“, auf dem sie von ihren Erfahrungen berichtet. Inzwischen tauscht sie sich mit vielen Menschen aus, zieht auch hieraus immer wieder neue Kraft und Inspiration. „Natürlich stehe auch ich manchmal noch vor Herausforderungen und schaffe es nicht immer, für andere Betroffene da zu sein“, berichtet sie. Auch ihre Stärke sei nicht unendlich. Was sie dabei besonders wichtig findet: die eigenen Grenzen zu kennen und sich ihre Energie gut einzuteilen. 

Frau sitzt an einer Bierbank im Grünen.

Daniela Maier hat sich ihren Optimismus bewahrt. 

Andere stärken

Das hilft ihr besonders bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit. Nachdem sie 2014 wieder in ihren Job als Firmenkundenbetreuerin eingestiegen war, nahm sie 2016 ein Ehrenamt als Patientenberaterin in Münchner Krankenhäusern auf: Sie steht Patientinnen und Patienten vor oder kurz nach deren Amputation für Fragen zur Verfügung. „Ich sehe es bis heute als einen der wichtigsten Faktoren im Regenerationsprozess, sich nicht nur mit medizinischem Personal zu beraten, sondern sich auch mit anderen Nutzerinnen und Nutzern von Prothesen zu vernetzen. Daher bin ich immer gern bereit, anderen Menschen mit einem ähnlichen Schicksal zur Seite zu stehen“, erzählt sie von ihrem Ehrenamt. 
 

„Ich sehe mein Beratungsangebot als eine sinnvolle Ergänzung im Reha-Verlauf, da ich den Patientinnen und Patienten ein realistisches Bild von den Herausforderungen aus meinem eigenen Erfahrungsschatz geben kann.“

Das Projekt PiK – Peers im Krankenhaus

Peers (engl.) sind Menschen, die etwas gemeinsam haben. Den gleichen Job, denselben Freundeskreis oder zum Beispiel eine Behinderung. Eine Counselorin oder ein Counselor (engl.) berät andere Menschen.  

Peer-Counseling ist eine Beratung von Betroffenen für Betroffene. Der Vorteil: Die Beratenden können sich leichter in die Ratsuchenden einfühlen und sich auf Augenhöhe mit ihnen austauschen.  

In der PiK-Fortbildung werden zukünftige Peers sowie Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Psychologinnen und Psychologen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Mitarbeitende aus der Orthopädietechnik und alle anderen Interessierten über die Arbeit als Peer informiert. Außerdem werden darin medizinische, rechtliche und psychologische Grundlagen und die Gesprächsführung vermittelt. In Zukunft soll es auch weiterführende Seminare für aktive Peers geben. 

Unterstützungsangebote sichtbar machen

Ich sehe bei meiner Arbeit immer wieder, dass den Leuten gar nicht bewusst ist, was ihnen zusteht und wie sie sich Hilfe holen können, und dass sie deswegen auf viele Unterstützungsangebote verzichten“, erzählt Daniela Maier. Ihr habe es sehr geholfen, sich aktiv selbst zu informieren und den Blick in die Zukunft zu richten. Es sei aber ein Kraftakt, sich zu erkundigen, welche Nachteilsausgleiche und Teilhabeleistungen einem überhaupt zustünden, und eine noch viel größere Herausforderung, diese dann auch einzufordern. Die bürokratischen Hürden seien für viele Menschen in solch einer neuen Lebenssituation zu hoch. Mit ihrer Geschichte will sie anderen Menschen Mut machen, die in einer ähnlichen Lage sind, und sie dabei unterstützen, mehr über ihre Rechte zu erfahren und diese auch einzufordern.

Frau in einem Park, vor einem Teich stehend.

Daniela Maier möchte ein Vorbild für andere Menschen mit Behinderung sein. 

„Ich möchte für mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit sorgen und dazu beitragen, dass sie besser über ihre Rechte aufgeklärt sind.“

Kurz erklärt: Inklusion und Barrierefreiheit

Inklusion bedeutet: Alle Menschen können überall selbstbestimmt und gleichberechtigt mitmachen. 

Barrierefrei nennt man Lebensbereiche (zum Beispiel ein Gebäude, eine Website oder einen Spielplatz), wenn Menschen mit und ohne Behinderung sie einfach und selbstständig finden, erreichen und nutzen können. 

Die Grundvoraussetzung für Inklusion ist Barrierefreiheit – sowohl technisch als auch im Kopf. Mehr zum Thema Barrierefreiheit und wie die Bayerische Staatsregierung Barrieren aktiv abbaut, finden Sie auf der Website „Bayern barrierefrei“
 

Ein Appell an die Gesellschaft 

Von der Gesellschaft wünscht sich Daniela Maier, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung von Anfang an mitgedacht werden. Das kann eine Rampe beim Gebäudezugang oder ein Aufzug an einer Bahnstation sein. Das sei auch ein Schlüsselfaktor dafür, dass mehr Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können – so, wie sie es tut. „Eine Behinderung zu haben, egal ob physisch oder psychisch, ist in unserer Gesellschaft oft noch negativ besetzt. Diese Sichtweise muss sich ändern“, sagt sie. Dazu gehöre auch, dass Menschen mit Behinderung der Zugang zu allen Lebensbereichen ermöglicht werde. Zum Beispiel durch das Arbeiten außerhalb von Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder die Sichtbarkeit in Film und Fernsehen. Besonders wichtig seien auch barrierefreie Praxen, um eine freie Wahl von Ärztinnen und Ärzten zu ermöglichen. Daniela Maier ist sich sicher: „Nur durch Begegnung können Berührungsängste und Vorurteile abgebaut und gegenseitiges Verständnis gestärkt werden.“

„Wir Menschen mit Behinderung sind keine homogene Gruppe, sondern wir haben unterschiedliche Bedürfnisse. Daher ist es wichtig, uns als Expertinnen und Experten in eigener Sache einzubeziehen. Wichtig ist dabei auch, diese Expertise entsprechend zu vergüten, denn Inklusion ist kein Charity-Projekt!“