Frau lächelt in Kamera

Die Pionierin

Dr. Birgit Happel hatte ihren ersten Job als Wertpapierberaterin bei einer Bank. Heute ist sie Referentin, Trainerin und Speakerin für finanzielle Bildung und finanzielle Gleichstellung. Sie ruft dazu auf, sich mit dem Verhältnis von Beruf, Fürsorge und Finanzen auseinanderzusetzen. Ihr Ziel: soziale Innovationen voranzubringen und mehr Chancengerechtigkeit zu erreichen. 

Birgit Happel: für faire Finanzen   

Birgit Happel sind die Finanzen von Frauen ein besonderes Anliegen. Sie selbst stammt aus einer Arbeiterfamilie, hat nach einer Banklehre Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaftslehre studiert. Als sie ihre Dissertation zum Umgang mit Geld schrieb, betreute sie ihre zwei kleinen Kinder, pflegte ihren Vater und war dazu selbstständig tätig. Zuvor hatte sie sich um ihre Mutter gekümmert, die an Demenz erkrankt war. Deshalb weiß sie, welche Nachteile Frauen in Kauf nehmen müssen, wenn sie im Erwerbsleben kürzertreten, um sich um ihre Familie zu kümmern. Neben besseren Rahmenbedingungen braucht es aus ihrer Sicht vor allem mehr Wissen über die eigenen Rechte in Bezug auf Gleichstellung. Und auch das finanzielle Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen von Frauen müsse gestärkt werden. Genau dafür engagiert sich die Kleinostheimerin, die ihr eigenes Unternehmen mit dem Namen „Geldbiografien“ gründete. Besonders wichtig ist ihr, darauf aufmerksam zu machen, dass der Umgang mit Geld eng mit der eigenen Lebensgeschichte zusammenhängt. Insbesondere engagiert sie sich für die Professionalisierung der finanziellen Bildung, um Fachkräfte der sozialen Arbeit und Lehrkräfte zu sensibilisieren und weniger privilegierte Gruppen nicht aus den Augen zu verlieren. 
 

Die eigene Geldbiografie

„Schon während meiner Ausbildung hat mich die Börse fasziniert und die großen globalen Geldströme, auch die Entwicklung von Unternehmen und Gesellschaften. Daher habe ich mich direkt im Anschluss zur Wertpapierberaterin weitergebildet“, erzählt Birgit Happel. Die tägliche Konfrontation mit der Armut im Frankfurter Banken- und Bahnhofsviertel führte sie zum Soziologiestudium an die Goethe-Uni Frankfurt. Anlass war aber auch der Wunsch, mit ihrer wohlhabenden Kundschaft auf Augenhöhe zu sein. Einen Auslandsaufenthalt ihres Partners in Singapur nutzte sie für ein Auslandsstudium und die Recherche für ihre Magisterarbeit. Nach der Geburt ihrer beiden Kinder verzögerte sich ihr beruflicher Wiedereinstieg aufgrund der Pflegeverantwortung für ihre Mutter. In dieser Zeit war sie finanziell auf ihren Mann angewiesen: „Aber ich hatte trotzdem meine beruflichen Qualifikationen und mein Erspartes, sodass ich mich sicher und nicht abhängig gefühlt habe.“ 

Sie entschied sich anschließend dafür, in den Bereich der finanziellen Bildung zu gehen und Präventionsarbeit zu leisten. Dabei spielte auch ihr zunehmendes politisches Bewusstsein eine Rolle: „Am Anfang dachte ich, dass ich als Wertpapierberaterin Frauen dabei unterstütze, ihre Finanzen gut zu strukturieren. Dann habe ich viel mit alleinerziehenden Frauen und mit Wiedereinsteigerinnen gearbeitet. Dadurch habe ich gesehen, dass die Probleme anders gelagert sind: Es geht nicht nur darum zu lernen, einen Wertpapiersparplan aufzusetzen, sondern darum, sich gegen Fehlanreize wie beispielsweise die Teilzeitarbeit zu wappnen.“ Um dies zu erreichen und auch strukturell Veränderungen anzustoßen, arbeitet Birgit Happel mit Fachkräften und Multiplikatorinnen, etwa aus den Bereichen Gleichstellung, Familienbildung und Politik, zusammen. „Wir müssen immer wieder aktiv werden, den Diskurs öffnen und politische Forderungen stellen.“ 

Das große Ganze im Blick behalten

Frauen verdienen nicht nur weniger als Männer, sie erhalten auch auf das ganze Erwerbsleben betrachtet weniger Geld. Das wirkt sich unter anderem auf ihre Rentenansprüche aus. Solche Strukturen schaut sich Birgit Happel an: „Es ist wichtig, das große Ganze im Blick zu behalten und Probleme nicht zu individualisieren. Mir geht es darum, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass wir wirklich zu einer gleichberechtigten Partnerschaft kommen und die Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft voranbringen.“ Auf diesem Gebiet müsse sich noch einiges ändern – sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft. Ein Problem sieht sie in dem jahrhundertelang tradierten Rollenverständnis. Denn das schreibe die Hauptverantwortung für die Care-Arbeit, also für alle fürsorgenden Tätigkeiten, der Frau zu. Hinzu komme, dass diese nicht als „Arbeit“ angesehen würden. „Erwerbsarbeit und Care-Arbeit sollten gleich wertgeschätzt werden. Dazu sind strukturelle Änderungen nötig. Das ist eine der größten Baustellen in unserer Gesellschaft. Wichtig ist aber auch, dass Frauen ihre Scheu vor Finanzthemen ablegen.“
 

„Ich möchte Frauen ermutigen, eine für sie stimmige Balance zwischen ihrer Berufs-, Care- und Geldbiografie zu finden.“
Frau in Sommerkleid läuft an Häuserwand entlang

Veraltete Rollenbilder lässt Birgit Happel hinter sich.  

Engagiert für mehr Chancengerechtigkeit

Mit ihrem Unternehmen als Partnerorganisation der Initiative Klischeefrei setzt sich Birgit Happel dafür ein, Geschlechterrollen aufzubrechen. Darüber hinaus ist sie im Vorstand des Präventionsnetzwerks Finanzkompetenz und im Frauenhearing Aschaffenburg ehrenamtlich aktiv. Außerdem unterstützt sie unter anderem UN Women Deutschland und die Initiative Equal Care Day. 

Finanzkompetenz ist für Birgit Happel eine wichtige Lebenskompetenz. Die finanzielle und persönliche Biografie in Einklang zu bringen bedeutet nicht, alle Entscheidungen vom Geld abhängig zu machen. „Es geht auch darum, den Wert von Fürsorge und Verantwortung anzuerkennen – vor allem für die eigene Biografie. Wenn wir uns um alternde Eltern kümmern, dann können sich auch bei uns selbst offene Lebensfragen lösen.“ Das werde häufig unterschätzt. Auch wenn für sie persönlich ihre berufliche Identität wichtig sei, müsse nicht immer die Erwerbsarbeit im Vordergrund stehen. „Entscheidend ist, dass Frauen ihre finanzielle Selbstbestimmung nicht aus den Augen verlieren und auf eine gerechte Rollenverteilung achten.

Initiative Klischeefrei

Traditionelle Rollenbilder von Frauen und Männern beeinflussen noch immer die Berufs- und Studienwahl, dabei sollten hier allein die persönlichen Interessen und Begabungen ausschlaggebend sein. Mit Unterzeichnung der sogenannten Klischeefrei-Vereinbarung am 10. Februar 2021 wurde das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales als erstes bayerisches Ministerium Partner der Initiative Klischeefrei, eines Bündnisses aus Bildung, Politik, Wirtschaft und Forschung zur Förderung der Berufswahl ohne Geschlechterklischees unter der Schirmherrschaft von Elke Büdenbender.

Hier finden Sie weitere Informationen zur Initiative Klischeefrei

Frau betritt Eingangsbereich eines modernen Hauses

Birgit Happel leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet der finanziellen Gleichstellung.

Frau bei einem Vortrag mit Publikum

Birgit Happel leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet der finanziellen Gleichstellung.

Frau vor einem Tisch im Gespräch mit einer anderen Frau

Birgit Happel leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet der finanziellen Gleichstellung.

Thema 1 von 3
„Mir sind Autonomie und Gerechtigkeit wichtig. Sie haben für mich einen hohen Wert. Mir persönlich geht es darum, eine stimmige Balance zwischen Zeit, Geld und Sinn meiner Tätigkeiten herzustellen. Das versuche ich immer wieder neu, gut hinzubekommen.“

Die Teilzeitfalle 

Frauen sind laut Birgit Happel heute meist emanzipierter als ihre Mütter und Großmütter. Sie könnten ihren eigenen Lebensweg daher selbstbewusster gestalten. Doch nach wie vor würden ihnen Steine in den Weg gelegt. „Deutschland ist die viertstärkste Wirtschaftsnation der Welt. Leider haben wir trotzdem noch eine Steuer- und Sozialversicherungsgesetzgebung, die das Zuverdienstmodell begünstigt.“ Häufig entscheiden sich Paare aus finanziellen und steuerlichen Gründen daher für die tradierte Rollenverteilung mit dem Mann als Hauptverdiener und der Frau, die Teilzeit oder im Minijob arbeitet und sich um Haushalt und Kinder kümmert. Birgit Happel betrachtet das kritisch: „Natürlich kann es sinnvoll sein, zu schauen, bei welcher Aufteilung das meiste Geld übrig bleibt. Aber man darf die langfristigen Folgen einer Teilzeitbeschäftigung nicht vergessen und sollte die Opportunitätskosten im Blick behalten, also die Mittel, die einem dadurch entgehen, beispielsweise durch verhinderte Karriereschritte.“  
 

Warum Stereotype so gefährlich sind 

In ihrem Buch „Auf Kosten der Mütter“ deckt Birgit Happel auf, wie wirtschaftliche Fehlanreize und veraltete Rollenbilder Frauen in ihrer Handlungsfreiheit einschränken. Sie möchte Frauen dazu anregen, kritisch auf die eigene Situation zu schauen. Aber auch, pragmatische Lösungen zu finden, etwa indem sie das Einmaleins der Geldanlage lernen. Und sie möchte dazu beitragen, dass das gesellschaftliche Umdenken an Fahrt aufnimmt. Vorurteile wie beispielsweise, dass in Teilzeit keine Führungsverantwortung übernommen werden kann, müssten überwunden werden. „Die Leistungen von Frauen werden in sehr vielen Bereichen nicht anerkannt. Das muss sich ändern. Ich hoffe, dass der Fachkräftemangel zu einem Umdenken führt und Unternehmen mehr wertschätzen, was in Familien geleistet wird.“  
 

Frau sitzt auf einer Mauer und blättert in einer Broschüre.

Mit ihrem Buch „Auf Kosten der Mütter“ will Birgit Happel zum Umdenken anregen.

„Es ist gut, dass wir inzwischen Zahlen haben, die das Problem der Arbeitsmarktdiskriminierung empirisch belegen, denn das schafft mehr Bewusstsein in der Gesellschaft und der Politik.“

3 Fragen zur Rolle der Frau

Frauen sind weltweit strukturell benachteiligt. Und auch in Deutschland sind wir nur auf den ersten Blick gleichberechtigt: Im Global Gender Gap Report von 2023 nimmt Deutschland zwar den sechsten Platz ein. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in der Kategorie „Wirtschaftliche Teilhabe und Chancen“ auf Platz 88 zurückgefallen sind. Wir haben noch wirkmächtige gesellschaftliche Normen, Rollenbilder, Geschlechterstereotype, die leider oft erst in der eigenen Lebensgeschichte erfahren werden müssen, um als solche wahrgenommen zu werden, und dann im besten Fall zu politischen Handlungen führen. 

Frauen sind stark, weil sie sich für Schwächere einsetzen und Verantwortung übernehmen. Sie sind stark, wenn sie Herausforderungen mutig annehmen, die Sinnhaftigkeit ihres Tuns erkennen, sich weiterentwickeln und ihre persönlichen Ziele verfolgen können. Für mich persönlich bedeutet Stärke, meine Werte zu kennen und für sie einzustehen – auch über Hürden hinweg. Ich finde, es macht Frauen stark, wenn sie Selbstwirksamkeit erfahren, ihre Pläne verwirklichen können und gesehen werden. Da bestehen noch große Defizite, vor allem in Bezug auf die Anerkennung der unbezahlten Arbeit. 

Ich wünsche mir für Frauen, dass sie ihre Potenziale leben können. Dass der Alltagssexismus bekämpft wird und Geschlechterstereotypen mehr hinterfragt werden. Dass sich Frauen nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen oder sich zwischen Familie und Beruf zerreiben. Dazu brauchen wir eine solide Infrastruktur für Kinderbetreuung und faire Rollenverteilungen. Deshalb wünsche ich mir eine Aufwertung der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit und vor allem, dass die Diskriminierung der Fürsorgeleistenden am Arbeitsmarkt beseitigt wird.  

Der Wert von Care-Arbeit 

Als Finanzbildungsexpertin beschäftigt Birgit Happel unter anderem die Frage, wie Tätigkeiten entlohnt werden. Eine große Ungerechtigkeit sieht sie in der mangelnden Wertschätzung der Care-Arbeit. Ihr Vorschlag: „Eine Möglichkeit wäre, dass innerfamiliär Unterhalt bezahlt oder die unbezahlte Arbeit auf andere Weise entlohnt und kompensiert wird.“ Auch im Hinblick auf Partnerschaft und Familie hält sie eine neue Betrachtungsweise für notwendig: „Es kommt der Qualität der Partnerschaft zugute, wenn niemand das Gefühl haben muss, zu kurz zu kommen, und finanziell einigermaßen ein Gleichgewicht besteht.“ 
Birgit Happel ermutigt in ihrer Arbeit und durch Coaching unter anderem Paare dazu, Mental Load und Financial Load in Balance zu bringen, also mentale und finanzielle Belastungen untereinander gerecht aufzuteilen. Das setze allerdings voraus, dass der Care-Arbeit derselbe Stellenwert zuerkannt wird wie der Arbeit, die die Familie ernährt. „Eine Allensbach-Untersuchung zeigte, dass sich rund die Hälfte der Paare eine faire Aufgabenteilung wünscht. Doch nur sieben Prozent der Väter gehen in Teilzeit. Auf diese Weise festigen sich tradierte Rollen immer weiter, auch ungewollt. Solche Automatismen müssen hinterfragt werden.“ 
 

„Der Wert von Fürsorge muss in irgendeiner Form anerkannt werden.“

Fürsorge gemeinsam gestalten

Ob Kinderbetreuung, das Pflegen der Eltern oder einfach nur den Familienalltag managen – in den meisten Haushalten in Deutschland kümmern sich darum die Frauen. Einen Überblick über die Themen Care-Arbeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf bietet unsere Themenseite „Frauen im Beruf“

Frau steht an Brunnen

Finanzielle Selbstbestimmung 

Auch wenn Frauen heute einen Schritt weiter seien und nicht mehr wie früher damit kokettierten, dass sie keine Ahnung von Gelddingen hätten, müsse sich noch viel ändern. „Es ist fatal, wenn Frauen die finanzielle Absicherung komplett ihren Männern überlassen und keinen Einblick in die Finanzsituation der Familie haben.“ Die Folgen werden spätestens im Trennungsfall spürbar. In ihren Workshops ist Birgit Happel vielen Frauen begegnet, die die Finanzen an ihre Männer delegiert und damit schlechte Erfahrungen gemacht haben – etwa, weil viel weniger Mittel vorhanden waren als gedacht und sie auch keinen Überblick darüber hatten, ob Geld beiseitegeschafft wurde. „Finanzielle Selbstbestimmung hebt die Lebensqualität und ist eine Quelle von Lebenszufriedenheit. Und in Partnerschaften beeinflusst sie das Machtgefälle. Deshalb ist es enorm wichtig, dass Frauen darauf achten.“ 
 

„Frauen sollten sich fragen, wie wichtig ihnen Unabhängigkeit und berufliche Identität sind und wie sie ihre verschiedenen Lebensbereiche so organisieren können, dass sie nicht eines Tages von existenzieller Not betroffen sind.“