Die Handwerkerin
Bereits als Kind begleitete Vanessa Riedel ihren Vater auf Baustellen. Heute gehört die 25-Jährige fest zum Team des Familienbetriebs. Nach ihrer Ausbildung zur Maurerin möchte sich Vanessa Riedel weiterbilden und als erste Frau in die Geschäftsführung einsteigen. Mit ihrem eigenen Instagram-Kanal wirbt sie außerdem für das Handwerk – ein Arbeitsfeld, das sie sich selbst erobert hat.
Im Handwerk beruflich zu Hause
In ihrer Berufsschulklasse ist Vanessa Riedel umgeben von Männern – bis auf eine weitere Mitschülerin. Für die Ausbildung zur Maurerin hat sie sich vor allem deshalb entschieden, weil sie das Arbeiten an der frischen Luft mag. Als Maurerin ist sie viel unterwegs, schleppt Bauzäune, fährt riesige Lastwagen, mischt Beton oder zieht Wände ein. Kurz: Baustellen sind ihr Revier. Auch wenn sie damit mit dem tradierten Rollenverständnis bricht. „Da sehe ich gleich, was ich aus eigener Kraft und mit meinem Team geschafft habe. Das gefällt mir am besten.“ Den praktischen Teil der Ausbildung absolviert sie im Betrieb ihres Vaters, die Theorie in der Berufsschule. 2024 wird sie die dreijährige Ausbildung abschließen und möchte danach noch den Meisterabschluss machen. Denn sie hat ein klares Ziel vor Augen: Sie möchte später den Familienbetrieb übernehmen.
Raus aus dem traditionellen Rollenbild
Ihre Eltern sind ein Beispiel dafür, wie ein Familienbetrieb erfolgreich aufgebaut werden kann: „Alle Büroarbeiten erledigt die Mama, alle Arbeiten auf der Baustelle der Papa“, fasst Vanessa Riedel die eher klassische Rollenverteilung ihrer Eltern zusammen. Sie selbst hat sich davon gelöst, weil Büroarbeit nicht ihren Interessen und ihrem Naturell entspricht. „Ich wollte schon als kleines Kind meinen Vater auf der Baustelle begleiten.“ Vanessa Riedel findet es schade, dass sich nicht mehr Frauen für einen Beruf im Handwerk entscheiden. Sie selbst führt das auch auf Geschlechterklischees zurück, denen sie selbst häufig begegnet. Bei der Berufsberatung seien ihr typische „Frauenberufe“ wie Friseurin oder Masseurin vorgeschlagen worden. Da ihr von Anfang an ein Beruf mit körperlicher Arbeit vorschwebte, probierte sie es zunächst als Physiotherapeutin und Masseurin. Doch dabei fühlte sie sich verloren, „so ins Kämmerchen abgestellt“, erzählt sie. Auf die Idee, eine Ausbildung zur Maurerin zu machen, hat sie ihr Vater gebracht.
Vanessa Riedel gehört zu den wenigen weiblichen Auszubildenden im Handwerk: 2022 lag der Frauenanteil nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern bei 18 Prozent.
In einer langen Tradition
Da sie ihren Vater von klein auf begleitete, wusste sie, was sie im Beruf erwartet: anstrengende Arbeit bei Wind und Wetter – egal ob bei 30 Grad plus oder bei Regen und Schnee. Wenn alles so funktioniert, wie sie es sich vorstellt, dann wird sie die erste Frau an der Spitze des Familienbetriebs sein. Nach ihrer Ausbildung möchte sie noch den Meisterabschluss machen und viele Erfahrungen sammeln. „Und wenn mein Papa sagt, er will jetzt in Rente gehen, dann kann ich übernehmen.“ Dass es so kommen würde, hätte ihr Vater sich nicht erträumt. Als seine Tochter auf die Welt gekommen sei, habe er zuerst gedacht: „Endlich mal kein Maurer“, erzählt Vanessa Riedel und lacht. Doch jetzt sind ihre Eltern stolz auf ihre Tochter. Und darauf, dass sie sich in dem von Männern dominierten Beruf so gut durchsetzen kann.
„Ich bin stolz darauf, dass ich mich dafür entschieden habe, das Familienunternehmen später weiterzuführen.“
Im Rohbau statt am Herd
Im Team des Familienbetriebs fühlt sie sich als einzige Frau wohl und akzeptiert. Doch nicht alle begegnen Vanessa Riedel so vorbehaltlos wie ihre Kollegen. „Als ich beispielsweise bei einem Baustoffhändler mit dem LKW angekommen bin, hat mich ein Staplerfahrer angeblafft und gesagt: ,Du gehörst hinter den Herd!‘ Viele Männer finden, dass ich in dem Beruf nichts verloren habe.“ Aber das stört sie nicht. Sie fühlt sich am richtigen Ort und nicht fehl am Platz, wenn sie Umbauten vornimmt oder am Entstehen eines Hauses mitwirkt. Genauso wie das Anpacken mag sie den gestalterischen Aspekt an ihrem Beruf. „Das Zeichnen von Details macht mir besonders Spaß.“ Das Elternhaus trägt bereits ihre eigene Handschrift: „Als wir eine neue Haustür bekommen haben, haben mein Papa und ich mit alten Steinen das Sichtmauerwerk gemacht.“ In einem ähnlichen Stil soll es bald auch eine Gartenmauer geben. Dass sie das Ergebnis ihrer Arbeit sofort in Augenschein nehmen kann, gefällt ihr besonders gut am handwerklichen Arbeiten.
Durch die Ausbildung über sich hinauswachsen
Auch in ihrer persönlichen Entwicklung bereichert die Ausbildung zur Maurerin Vanessa Riedel: „Früher war ich sehr schüchtern. Aber durch meine Arbeit habe ich viele neue Menschen kennengelernt, und ich musste lernen, mich zu öffnen und durchzusetzen. Das hat mich stark gemacht.“ Gleichzeitig hat sie erfahren, dass sie ihre Ziele auch über die Klischees hinweg erreichen kann. Auf der Baustelle liebt sie die Abwechslung und die Action. Sie packt überall mit an, vermisst Baugruben, hilft beim Einziehen von Stahlträgern oder betoniert. Um fit zu bleiben, macht sie regelmäßig Krafttraining. „Kraft zu haben ist wichtig! Es ist anstrengend, wenn man den ganzen Tag mauert.“ Der Dreck, der zur Arbeit gehört, stört sie nicht besonders. Daran hat sie sich schnell gewöhnt.
„Körperlich zu arbeiten macht mir Spaß. Da bin ich in meinem Element.“
Über körperliche Grenzen und innere Balance
Vanessa Riedel befindet sich im zweiten Lehrjahr und hat bereits etliche Mauern hochgezogen. Anfangs war sie manchmal besorgt, dass ihre Mauern auch gerade werden. Aber mittlerweile hat sie darin Routine. Ein Großteil ihrer Arbeit besteht aus Umbau oder Sanierungen. Einige Arbeiten sind nur mit vereinten Kräften möglich: „Wenn wir einen Stahlträger einziehen, sind wir immer zu dritt oder zu viert.“ Neben diesem Teamwork gibt es aber auch andere Arbeiten, bei denen Vanessa Riedel auf die Hilfe ihrer Kollegen angewiesen ist. „Wir haben zum Beispiel einen großen Stemmhammer, der wiegt allein 25 Kilo. Den kann ich nicht allein hochheben.“ Ihre Kollegen springen gerne ein, wenn sie sehen, dass sie Hilfe braucht. „Da macht keiner einen blöden Spruch.“ Als Ausgleich zu ihrer Arbeit reitet Vanessa Riedel, wann immer sie kann. Ihre Mutter hat sie schon als Baby mit zu den Pferden genommen. Inzwischen besitzt sie selbst ein Pferd, das sie gerade ausbildet. Neben dem Reiten fährt sie außerdem Rennrad: „Ich muss mich eigentlich immer irgendwie bewegen.“ Ob männer- oder frauentypisch, ob Arbeit oder Freizeit – das Wichtigste für Vanessa Riedel ist, das zu tun, was ihr gefällt.
Die passende Ausbildung finden
Wer weiß, worin die eigenen Stärken und Neigungen liegen, kann besser abschätzen, wohin die berufliche Reise gehen soll. Eine Anlaufstelle für Berufsorientierung und Ausbildung in Bayern ist "Boby". Die Website bietet hilfreiche Tipps und Angebote zur Orientierung und Information.
3 Fragen zur Rolle der Frau
Frauen werden in verschiedenen Bereichen unterschätzt. Zum Beispiel könnte es noch mehr Frauen in Führungspositionen geben. Das mag daran liegen, dass sich viele Frauen nicht trauen. Ich finde aber auch – ohne männerfeindlich sein zu wollen –, dass Männer Frauen immer noch unterdrücken. Ich arbeite in einem Beruf, in dem es mehr Männer gibt. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Männer Angst vor mir haben. Den meisten kommt es komisch vor, dass eine Frau so körperlich arbeitet.
Das ist eine schwierige Frage: Jede Frau ist stark in ihrer Persönlichkeit. Jede ist anders, und jede drückt ihre Stärke anders aus. Indem sie viel ausprobiert und testet, kann jede selbst herausfinden, worin die eigene Stärke liegt.
Ich wünsche mir, dass Frauen mehr akzeptiert werden. Dass sie machen dürfen, was sie wirklich wollen, und nicht gesagt wird: „Das schaffst du nicht als Frau.“
Auf Social Media für das Handwerk werben
Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt Vanessa Riedel, was den Beruf als Maurerin auszeichnet. „Ich will das gesamte Handwerk mehr in den Vordergrund rücken, um das Image zu verbessern.“ Ihr folgen vor allem Männer, Frauen äußern sich nur selten. Die Rückmeldungen sind dabei positiv wie negativ: „Es gibt Kommentare wie ,Super, dass du das machst. Wir wollen mehr Frauen bei uns.‘ Aber auch eben welche wie ‚Lass das bleiben, du kannst das nicht‘.“ Die Kritik hält sie nicht davon ab, weiterzumachen. Ihr geht es in erster Linie darum, anderen zu zeigen, wie vielseitig das Handwerk ist. Sie rät Frauen, die sich unsicher sind, Praktika in verschiedenen Bereichen zu machen. Egal, welche Interessen und Leidenschaften sie haben, sie sollten sich von anderen nichts einreden lassen und veraltete Rollenerwartungen hinter sich lassen. Sie selbst sei das beste Beispiel dafür, dass Frauen im Handwerk genau an der richtigen Stelle sind.
„Frauen sollten sich nicht davon beeindrucken lassen, wenn jemand sagt: ,Das funktioniert nicht.‘ Sie sollten sich einfach trauen und viel, viel, viel ausprobieren.“