Die frauenorientierte Unternehmerin
Als sich Birgit Corall Anfang der Neunzigerjahre selbstständig machte, klang ihre Geschäftsidee gewagt: Sie wollte Naturkosmetik aus Neuseeland verkaufen. Mit dem Internet ging es gerade erst los, und Nachhaltigkeit war noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Inzwischen hat sich das Unternehmen etabliert und wurde mehrfach für seine Familienfreundlichkeit ausgezeichnet. Eine weitere Besonderheit: Das Team besteht ausschließlich aus Frauen.
Von Naturkosmetik inspiriert
Bereits in den Achtzigern betrachtete Birgit Corall die Dinge um sich herum kritisch: Zucker im Müsli fand sie überflüssig. Beim Bau des Flughafens in München protestierte sie gegen die Trockenlegung von Moorgelände, bereits im Studium kaufte sie überwiegend biologische Lebensmittel. „Weil es der Erde guttut“, sagt sie schlicht. Bei einem längeren Aufenthalt in Neuseeland gefiel ihr besonders die Naturverbundenheit der Menschen dort. Als sie die Gründerin einer Firma ökologisch zertifizierter Naturkosmetik kennenlernte, war sie fasziniert. Die Idee, die Kosmetik in Deutschland zu verkaufen, war für Birgit Corall zunächst eine Spielerei. Doch schnell wurde für die ausgebildete Kauffrau im Einzelhandel und studierte BWLerin mit internationalem Schwerpunkt aus dem Projekt eine selbst gewählte Lebensaufgabe.
Mit Frauenpower voran
Mit Anfang 30 absolvierte Birgit Corall eine Ausbildung zur Kosmetikerin, um Kunden besser beraten zu können. Rückblickend war das eine ihrer wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen. Ihre Tochter war da gerade ein paar Monate alt. An den Präsenztagen der Ausbildung kümmerte sich ihre Schwiegermutter um das Kind. Ihr damaliger Mann unterstützte sie nur wenig bei ihren Schritten in die Selbstständigkeit. Doch Birgit fand Frauen, die ihr halfen, die steigende Nachfrage nach Naturkosmetik zu bewältigen. „Zuerst habe ich eine Bekannte aus dem Kindergarten meiner Tochter gefragt. Ich habe mich um die Beratung gekümmert und sie um den Vertrieb. Wir waren ein super Team.“ Als der Erfolg zunahm, stellte sie ihre alleinerziehende Nachbarin ein, die außerdem noch eine Freundin vermittelte, die ebenfalls auf der Suche nach einem Teilzeitjob war.
3 Fragen zur Rolle der Frau
In Deutschland driften Theorie und Praxis auseinander: Frauen können Abitur machen. Sie können eine Ausbildung absolvieren, studieren und Karriere machen. Aber faktisch stellen viele Frauen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an, weil sie sich um die Kinder und die Pflege der Eltern kümmern.
Mich macht stark, wenn ich meine Ideen umsetzen und mich entfalten kann, wenn ich meine Persönlichkeit entwickeln kann. Jungs haben es meist einfacher. Bei Mädchen kommt schnell die Frage: Muss das denn sein? Wichtig ist, Mädchen in ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern, zu lenken und zu stärken.
Dass Frauen ihre Ziele erreichen können. Und dass sie nicht als „karrieregeile Mannweiber“ betrachtet werden, wenn sie eine Führungsposition übernehmen. Kein Mann muss sich so was Negatives anhören. Ich wünsche mir, dass Frauen einfach ihr Ding machen können, weil sie gut sind und weil sie es gerne machen – auch wenn sie Mutter sind und eine Familie haben.
Erfolgreicher Neustart mit Frauen
Eine erste Hürde nahm Birgit Corall 2004, als der Beruf ihres damaligen Mannes einen Umzug von Nordrhein-Westfalen nach Landshut erforderlich machte. Mit zwei kleinen Kindern ohne berufliches Netzwerk und soziale Kontakte gelang der jungen Geschäftsfrau in Bayern ein Neustart. Ihre Vorgaben für die Suche nach Mitstreiterinnen beim Arbeitsamt: Frauen in verschiedenen Altersgruppen, die Lust am Lernen haben – gerne mit Kindern. „Ich arbeite viel lieber mit Frauen zusammen. Gerade wenn sie Kinder haben, sind sie flexibel und packen auch mal rechts und links an.“ Ihr Team, das den Onlineverkauf von Naturkosmetik managt, wuchs über die Jahre kräftig. 2024 waren es neun fest angestellte Mitarbeiterinnen, die in verschiedenen Teilzeitmodellen arbeiten. Als eine Kollegin eine Bekannte mit zur Frühstückspause brachte, die gesundheitlich eingeschränkt war, entwickelte sich daraus ebenfalls eine feste Anstellung in Teilzeit. Der Geschäftsführerin ist wichtig, dass sich jede so einbringen kann, wie es am besten für sie ist. Wer nicht gut im Telefonieren ist, bekommt eine andere Aufgabe zugeteilt. Und sie lässt Raum für das Leben: Kinder, die zu krank für den Kindergarten, aber zu gesund fürs Bett sind, kommen mit ihren Müttern zur Arbeit und malen in der Küche.
„Ein Arbeitsplatz ist mehr als nur die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Er soll auch ein Ort sein, wo man sich wohlfühlt.“
Familienpakt
Die Bayerische Staatsregierung und die bayerische Wirtschaft schlossen 2014 den Familienpakt Bayern. Das bayernweite Netzwerk unterstützt bayerische Unternehmen und Betriebe mit einer Vielzahl an verschiedenen Angeboten, zum Beispiel Online-Seminaren, Best-Practice-Beispielen oder Interformationsmaterialien, dabei, familienfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichtbarer zu machen. Weitere Infos zum Familienpakt finden Sie hier.
Zuversicht auch bei Rückschlägen
Neben dem Aufbau des Teams kümmerte sich Birgit Corall außerdem darum, ihr erstes eigenes Produkt zu entwickeln. Ihr Ziel war es, ein Serum mit einem besonderen Duft zu komponieren. Dazu engagierte sie eine ausgebildete Parfümeurin. Da sich diese nicht an die hohen Maßstäbe der ökologischen Zertifikate hielt, scheiterte die Zusammenarbeit. „Ich hatte viel, viel Geld ausgegeben und dachte: Entweder ich stampfe das ganze Projekt ein, oder ich kümmere mich selbst.“ Für sie war schnell klar: Aufgeben kommt nicht infrage. Sie krempelte die Ärmel hoch, setzte sich intensiv mit den Düften natürlicher Öle auseinander und ließ sich von den Herstellern genau erklären, mit welchen Rohstoffen sie arbeiteten. Seit 2013 bietet sie neben den Produkten aus Neuseeland ihre selbst produzierten Seren an.
„Meine Rolle als Geschäftsführerin bedeutet für mich: lenken, führen, Visionen haben und die Mitarbeitenden fördern, sodass sie ihre Aufgaben gerne übernehmen.“
Nachhaltig, profitabel, menschlich
Auch in schwierigen Zeiten hält die Geschäftsführerin an ihrem besonderen Konzept fest: „Dass wir menschlich bleiben, ist ein zentraler Grundsatz unserer Unternehmenskultur.“ Für ihren familienfreundlichen Ansatz erhielt Birgit Corall verschiedene Preise: 2013 und 2016 wurde sie von der Bertelsmann Stiftung ausgezeichnet, 2021 prämierte die Bayerische Staatsregierung ihr Unternehmen als eines der 20 familienfreundlichsten in Bayern. Bei der Preisverleihung lernte sie andere Firmen kennen, die ebenfalls das Thema Familienfreundlichkeit und Inklusion vorantreiben. „Es gilt der alte Spruch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Bereits mit kleinen Veränderungen lässt sich viel erreichen.“ Ihre Auszeichnung und der Austausch mit anderen regten sie zu einer Vortragsreihe zum Thema Familienfreundlichkeit an. Den Anfang machte ein Rotary Club in ihrer Nähe, und sie hofft, weitere Interessenten zu finden. „Es gibt viele großartige Ansätze, die die verkrusteten Strukturen in den Betrieben aufbrechen und sich mehr nach den Bedürfnissen der Mitarbeitenden richten. Diese Ideen möchte ich in die Welt tragen.“
Erfolgreich und familienfreundlich
Seit 2016 werden in Bayern alle zwei Jahre die 20 familienfreundlichsten Unternehmen ausgezeichnet. Eltern-Kind-Büros, flexible Teilzeitangebote oder zusätzliche Urlaubstage für Betreuung und Pflege – Lösungen für eine flexible und individuelle Arbeitszeitgestaltung werden honoriert. Brigitte Corall war mit ihrer Firma unter den Preisträgern 2020/2021. Erfahren Sie mehr über den Wettbewerb „Erfolgreich.Familienfreundlich“.
Mit dem Unternehmen wachsen und leben
In die führende Rolle ist Birgit Corall hineingewachsen. Für sie bedeutet das, keine Angst zu haben und das Geschäft am Laufen zu halten. Ein besonderes Ereignis, das ihr persönlich viel bedeutet, ist eine gemeinsame Reise mit dem Team nach Neuseeland. Diese organisierte Birgit Corall, um ihre Faszination für Naturkosmetik mit allen zu teilen. Sie spendierte die Flüge und kümmerte sich um die Organisation: „Meine Kolleginnen sollten die Zeit genießen und die Firma, deren Produkte wir verkaufen, besser kennenlernen. Das hat allen sehr gut gefallen.“ Um gegen die immer größer werdende Konkurrenz anzukommen, setzt die heute 58-Jährige ebenfalls auf den Faktor Menschlichkeit: „Wir schaffen uns keine Sprachcomputer an. Wir gehen ans Telefon. Ich hoffe, das kommt bei unseren Kunden und Kundinnen an.“ Und auch über die Zukunft hat sie schon nachgedacht. Wenn es so weit ist, hat sie kein Problem damit, ihr Geschäft an die nachfolgende Generation zu übergeben.
„Das Wichtigste ist die Umsetzung einer Idee. Nur so kann man sehen, ob sie besteht.“