Eine junge Frau lächelt in die Kamera. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem "feminist AI" steht.

Die feministische Wissenschaftlerin

Schon als Kind störte sich Eva Gengler an Rollenklischees und daran, wie Frauen in der Gesellschaft gesehen werden. Heute forscht sie zu feministischer Künstlicher Intelligenz, setzt sich in den unterschiedlichsten Bereichen für mehr Frauenrechte ein und wirkt mit ihrer Arbeit gegen Ungerechtigkeiten jeglicher Art.

Den eigenen Weg finden

Blickt Eva Gengler zurück, wann sie sich das erste Mal mit Feminismus auseinandergesetzt hat, fällt ihr eine prägende Erinnerung ein: der Film Mulan, in dem sich ein junges Mädchen von klassischen Rollenbildern befreit und seinen eigenen Weg findet. Je älter Eva Gengler wurde, desto mehr identifizierte sie sich mit Mulan. Denn auch in ihrem Elternhaus bemerkte sie eine stereotype Rollenverteilung: Der Vater übernahm einen größeren Anteil der bezahlten Arbeit, die Mutter kümmerte sich verstärkt um die Kinder und den Haushalt und stellte ihren Job vorerst zurück. „Das waren schon sehr klassische Rollen, mit denen ich konfrontiert war. Ich wollte nicht diesem klassischen Frauenbild entsprechen – ich wollte überhaupt nicht konform sein“, erklärt sie heute. Nach dem Abitur studierte Eva Gengler zunächst Geowissenschaften und wechselte dann zum Studiengang Grundschullehramt. Letztendlich brach sie beide Studiengänge ab und studierte im Bachelor-Studiengang Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt BWL – auch auf die Empfehlung ihres Vaters hin. „Ich habe damals schon überlegt, ein Studium in Informatik anzufangen. Ich dachte, Frauen sind in diesem Bereich unterrepräsentiert, und das wollte ich ändern“, erklärt sie. Gemacht habe sie es dann vorerst nicht. „Ich hatte es mir fachlich nicht zugetraut.“ 
 

Eine Frau geht in einem Treppenhaus aus Stein nach oben.

Für Eva Gengler steht fest: Mit ihrer Arbeit will sie die Gesellschaft gerechter machen. Dafür schlägt sie immer wieder neue Wege ein. 

„Folge deiner Leidenschaft und Begeisterung! Sie wird dich an unerwartete Orte führen.“

Neue Ziele 

Doch das Interesse an vermeintlich typischen Männerberufen war da: Eva Gengler wurde Werkstudentin bei einem großen Technologieunternehmen und legte den Schwerpunkt ihrer Arbeit als Werkstudentin auf IT. Nach ihrem Abschluss in BWL begann sie ein Masterstudium in International Information Systems. „Ich merkte relativ schnell: Irgendwie war das jetzt doch nicht so schwer. Ich glaube, ich kann noch mehr.“ Im ersten Jahr holte sie die verpflichtenden Bachelor-Informatikfächer nach, schloss sich mit den wenigen anderen weiblichen Studentinnen zu Lerngruppen zusammen und überwand langsam, aber sicher ihre Angst vor dem Scheitern. Am Ende schrieb Eva Gengler ihre Masterarbeit über ethische Implikationen von Künstlicher Intelligenz (KI). „Was mich im Studium wirklich begeistert hat, war zu untersuchen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen KI haben kann – auch auf die Lebensrealität von Frauen“, ergänzt sie. Nach dem Abschluss ihres Studiums folgten Stationen in verschiedenen Unternehmen der IT-Branche: Sie war als IT-Strategieberaterin tätig, in die Digitalisierung eines finnischen Gaskonzerns eingebunden, arbeitete als Business-Analystin und Produktmanagerin für ein IT-Projekt. Zudem übernahm sie eine Leitungsfunktion mit Schwerpunkt IT-Consulting.

3 Fragen zur Rolle der Frau

Ich denke, dass wir leider noch lange nicht da sind, wo wir laut unserem Grundgesetz bereits seit 75 Jahren stehen sollten: Artikel 3 (1) „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ und (2) „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Bis dahin ist es noch ein langer Weg in Bezug auf Care-Arbeit, Bezahlung, Führungspositionen und Rollenbilder im Privaten, in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.

Ich mag den Begriff „starke Frau“ oder „Powerfrau“ nicht besonders, weil er suggeriert, dass es die restlichen von uns nicht sind, während wir mit dem Wort „Mann“ direkt Stärke verbinden. Da ist kein „Powermann“ nötig. Ich denke, dass Frauen heute besonders ihre Anpassungsfähigkeit und ihr Durchhaltevermögen stark machen – und ihre Wut. Wir müssen diese Wut richtig kanalisieren, dann sind wir gemeinsam wirklich stark.

Ich wünsche mir, dass Frauen weniger Ungerechtigkeiten zu ertragen haben und mit weniger Wut im Bauch leben müssen. Ich wünsche mir, dass sie nicht für Gleichberechtigung kämpfen müssen, sondern dass diese selbstverständlich ist. Und ich wünsche mir, dass Stärke nicht mehr per se als eine männliche, sondern genauso als eine weibliche Eigenschaft wahrgenommen wird.

In der Unterzahl

Alle Stationen ab dem BWL-Bachelor von Eva Gengler hatten eines gemeinsam: Männer waren in der Überzahl. „Während meiner Zeit in der Strategieberatung waren wir Frauen definitiv unterrepräsentiert. Wir wurden deshalb extra auf die Projekte verteilt, deren Teams vorrangig aus Männern bestanden, quasi für die Quote, weil den Kundinnen und Kunden Diversität suggeriert werden sollte“, erinnert sich Eva Gengler. Das hatte für sie und andere Frauen nicht nur positive Folgen: sexistische Witze der Männer auf der einen Seite, Konkurrenzverhalten und Leistungsdruck von Frauen auf der anderen. „Eigentlich ist da die ganze Bandbreite an Diskriminierung mit dabei: ungleiche Bezahlung, sexistische Kommentare und kaum Frauen in der Führung“, zählt Eva Gengler auf. Oft war sie bei Projekten mit 20 oder 30 Mitarbeitenden die einzige Frau. Viele Kolleginnen hielten es nicht lange in der IT-Branche aus. „Es gibt eine Studie, die besagt, dass der Großteil der Frauen in den ersten fünf Jahren der IT-Branche den Rücken kehrt. Und ein zentraler Grund dafür ist, dass sie sich nicht wohl und nicht zugehörig fühlen. Ich muss leider sagen, dass ich das auch unterschreiben kann“, erklärt Eva Gengler. Das treffe zwar nicht auf alle Unternehmen der IT-Branche zu, grundsätzlich gebe es aber immer zu wenig Frauen und deshalb auch oft ein wenig diverses Umfeld.

Eine junge Frau liegt auf einer Wiese, mit den Armen unter dem Kopf verschränkt.

Wie kann künstliche Intelligenz gegen Diskriminierung wirken? Damit beschäftigt sich Eva Gengler in ihrer Forschung.

Ungleiche Chancen

2021 übernahm Eva Gengler die Leitung eines KI-Forschungsprojekts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Auch in der Wissenschaft stellt sie Ungleichheiten fest: „Fast die Hälfte der Studierenden an Universitäten sind Frauen – teilweise sind es sogar deutlich mehr. Wenn wir aber schauen, wer promoviert, ändert sich das Bild rasant. Und Professuren bekommen größtenteils Männer“, berichtet Eva Gengler. Es sei auch kein Geheimnis, dass Frauen weniger publizierten als ihre männlichen Kollegen – der sogenannte Gender-Publication-Gap sei aber nicht allein damit zu begründen, dass Frauen mehr Sorgearbeit leisteten. Oft würden ihre Leistungen schlichtweg nicht anerkannt oder übersehen, meint Eva Gengler und betont: „Da sehen wir ein sehr hierarchisches, sexistisches Machtsystem.“ Auch sie habe oft nur wenig Ermutigungen von männlichen Kollegen für ihre eigene Forschung erfahren – ließ sich aber nicht abbringen. Geholfen habe dabei auch ihre Mentorin, die ihr in strategischen und praktischen Fragen beratend zur Seite steht. Seit November 2021 ist Eva Gengler Doktorandin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und widmet sich in ihrer Forschung der Problematik von Menschenrechten, insbesondere Rechten von marginalisierten, also weniger stark vertretenen Gruppen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Sie will herausfinden, wie feministische KI der Diskriminierung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen und Individuen entgegenwirken kann.

Initiative Klischeefrei 

Die Initiative Klischeefrei setzt sich für eine Berufs- und Studienwahl ohne Geschlechterklischees ein. Ihr Hauptziel ist es, Jugendliche zu ermutigen, ihre Berufswahl nach individuellen Stärken und Interessen zu treffen, unabhängig von traditionellen Rollenbildern. 
Die Initiative richtet sich an alle Jugendlichen und möchte ihnen damit gleiche Chancen und Perspektiven eröffnen.
Weitere Informationen finden sie auf der Website des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales

Feministische Forschung

Ihre Erfahrungen in männerdominierten Branchen nutzt Eva Gengler nun, um strukturelle Missstände aufzuklären und ihnen entgegenzutreten. Sie wünscht sich, dass mehr weibliche Perspektiven – insbesondere in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz – berücksichtigt werden. Das habe viel mit der Veränderung von Machtstrukturen zu tun. „KI wird inzwischen fast überall eingesetzt – vom Bewerbungsverfahren für einen Job bis hin zur Kreditvergabe oder Bildgenerierung. KI funktioniert dabei häufig am besten für weiße privilegierte Männer, denn zu dieser Gruppe gibt es die meisten Daten und diese Menschen haben den größten Einfluss auf KI. Die KI lernt von Daten aus der Vergangenheit – es überrascht daher nicht, dass die Daten oft Stereotype enthalten oder bestimmte Aspekte ganz fehlen, wenn es um marginalisierte Gruppen geht“, erklärt Eva Gengler. Mit ihrer Arbeit will sie neue feministische Perspektiven in der Wissenschaft etablieren – insbesondere, damit sich die ungerechten Systeme nicht immer weiter vervielfältigen. „Wir brauchen mehr Vielfalt in den Daten, und wir müssen die KI so gestalten, dass sie nicht nur den Privilegiertesten der Gesellschaft Nutzen bringt. Darauf will ich mit meiner Forschung aufmerksam machen und herausfinden, wie wir mit einer feministischen KI gegen Diskriminierung in den unterschiedlichsten Bereichen wirken können“, ergänzt sie. „Ganz entscheidend ist dabei der Zweck der KI. Also warum wir sie einsetzen und mit welchem Ziel.“ Bei Stellenausschreibungen könne das bedeuten, dass mehr Frauen für Positionen vorgeschlagen würden, die bisher eher Männern zugeschrieben wurden, zum Beispiel in der Führung. 

„Ich will mit feministischer Künstlicher Intelligenz die Welt gerechter machen.“
Eine junge Frau sitzt an einem Tisch mit einem Computer und lächelt in die Kamera.

Eva Gengler treibt mit ihrer Arbeit den Feminismus in den unterschiedlichsten Bereichen voran. 

Eine Person schaut auf einen Computerbildschirm, auf der eine Konferenz abgebildet.

Eva Gengler treibt mit ihrer Arbeit den Feminismus in den unterschiedlichsten Bereichen voran. 

Eine junge Frau steht unter einem geöffneten Dachfenster und lächelt.

Eva Gengler treibt mit ihrer Arbeit den Feminismus in den unterschiedlichsten Bereichen voran. 

Thema 1 von 3

Engagement für Frauenrechte 

Neben der Wissenschaft setzt sich Eva Gengler auch in anderen Bereichen für Feminismus ein. Sie war bis Mai 2024 Vorständin eines Vereins, der sich für mehr Frauen in Fach- und Führungspositionen einsetzt und gegen geschlechterstereotype Denkweisen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft arbeitet. Seit 2022 ist sie außerdem Mitgründerin und Projektleiterin einer jungen Unternehmensberatung und eines feministischen KI-Projekts. „Ich habe das Gefühl der Ungerechtigkeit schon sehr früh wahrgenommen. Doch anstatt mich erstarren zu lassen, hat dieses Gefühl in mir den Wunsch geweckt, etwas dagegen zu tun“, erklärt sie ihre Motivation. Ihre Arbeit stärke ihr Vertrauen, die Welt gerechter machen zu können. „Das ist natürlich ein langfristiges Thema, aber wir müssen es angehen und auch politisch intensivieren. Und wir brauchen Frauen mit den verschiedensten Hintergründen, die trotz allem in die IT gehen, dort ihr Fachwissen einbringen und die Branche aufmischen“, betont Eva Gengler. 

„Meine Rolle als Wissenschaftlerin und Gründerin eröffnet mir viele Freiheiten, um das zu tun, was ich liebe.“