Die engagierte Oberbürgermeisterin
Seit 2020 ist Dr. Claudia Alfons Oberbürgermeisterin von Lindau am Bodensee. Der früheren Richterin ist es ein Anliegen, Politik greifbar zu machen. Einblicke in ihren Arbeitsalltag teilt sie deshalb auch auf Instagram. So möchte sie vor allem Jüngere und Frauen ermutigen, sich politisch zu engagieren.
Mehr (Menschen) für politische Arbeit gewinnen
Bürgerinnen und Bürger sollten die Chance nutzen, sich in die Politik einzubringen, davon ist Claudia Alfons überzeugt. Die Demonstrationen gegen den Rechtsruck, die vor allem im Zusammenhang mit den Europawahlen 2024 zugenommen haben, hält die Politikerin für ein ermutigendes Signal, aber das sei nicht genug. „Es ist wichtig, dieses Engagement auch in den Alltag zu übertragen. Wir müssen unsere Demokratie, die unter Druck ist, entlasten und stärken.“ Viele Menschen aus ihrer Generation hätten sich für Politik nicht wirklich verantwortlich gefühlt, sondern diese weitgehend an den Staat delegiert, sagt die 41-jährige Oberbürgermeisterin. Diese Haltung hält sie nicht mehr für zeitgemäß und plädiert für ein neues Bewusstsein. „Wir müssen uns wieder bewusst machen: Alle Macht geht vom Volk aus. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es viele Möglichkeiten, sich einer Sache politisch anzunehmen.“
Weiblich, exponiert, politisch
Claudia Alfons selbst stammt aus einem politisch interessierten Elternhaus. Bevor sie die Vollzeitstelle als Oberbürgermeisterin antrat, war sie unter anderem als Staatsanwältin in der Strafverfolgungs- und Strafvollstreckungsbehörde in München tätig, als Referentin im damaligen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Berlin und zuletzt als Richterin beim Landgericht München. „Das politische Interesse war schon da, aber ich habe nie ein politisches Mandat angestrebt. Ich bin gezielt angesprochen worden“, erzählt die promovierte Juristin. Den Ausschlag gab eine kontroverse Diskussion, die sie mit einem Lindauer Stadtrat im Zusammenhang mit dem Dieselskandal auf einer privaten Weihnachtsfeier 2018 führte. Er meinte, sie sei genau die Richtige für das Amt der Oberbürgermeisterin, und organisierte weitere Termine, um sie davon zu überzeugen, sich aufstellen zu lassen.
„Mein erster Impuls war, dass ich zwar gerne im Team wäre, aber nicht als Kandidatin“, erzählt Claudia Alfons. Doch ihr Verantwortungsbewusstsein überwog: Sie nahm sich ein paar Monate Zeit, um sich einen Überblick über die politische Lage in ihrem Heimatort zu verschaffen und mit den politischen Gruppierungen ins Gespräch zu kommen. Schließlich trat sie als Parteilose an, gewann aber die Unterstützung mehrerer Gruppierungen. Die Scheu davor, sich zu exponieren, hält sie für eine Hürde, die eher Frauen beschäftigt. „Männer haben nicht so ein Problem damit, eine Bühne einzunehmen. Denn die Debattenkultur ist sehr männlich geprägt.“
Gleichberechtigung statt Gleichheit
Die Dominanz der Männer spürt sie auch im Amt: Im Landkreis Lindau werden 18 Gemeinden von Männern geleitet, einzig die Kreisstadt Lindau hat mit Claudia Alfons eine Frau an der Spitze. Und auch im Stadtrat gibt es einen deutlichen Überhang an Männern. Von den 30 Stadträten und Stadträtinnen sind nur acht weiblich, also weniger als ein Drittel. Ein in ihren Augen nicht haltbarer Zustand. Sie verweist auf Artikel 3 im Grundgesetz: „Man hat sich bewusst dafür entschieden, die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz festzuhalten, und nicht bloß die Gleichheit vor dem Gesetz. Welchen Unterschied das in der Praxis macht, zeigt gerade die Kommunalpolitik: Nach dem Gesetz können Frauen genauso wie Männer zum Beispiel ins Bürgermeisteramt gewählt werden. Tatsächlich haben wir in den Rathäusern jedoch nur 10 Prozent Bürgermeisterinnen.“ Ihr Ziel ist es, mehr Frauen in politische Entscheidungspositionen zu bringen und vor allem bei jungen Leuten mehr Interesse für Politik zu wecken. Das war auch einer der Gründe für ihren wöchentlichen Rückblick, den sie auf Instagram veröffentlicht. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. So hat eine jugendliche Followerin kürzlich ein Praktikum bei ihr gemacht. „Ich habe das Gefühl, dass ich über meinen Wochenrückblick viele Menschen erreiche, die mit Politik gar nicht so viel am Hut haben. Besonders groß ist die Resonanz bei Frauen, was sehr schön ist.“
„Wir müssen uns klar machen, für wen Politik gemacht wird – und wer sie macht. Politik wird mindestens auch für 51 Prozent Frauen gemacht, aber sie wird nicht auch zu 51 Prozent von Frauen gemacht. Das müssen wir als Gesellschaft besser zusammenbringen.“
3 Fragen zur Rolle der Frau
Es kann nicht sein, dass hundert Jahre nach dem Frauenwahlrecht nur zehn Prozent Frauen in den Rathäusern sitzen. Ich bin sicher, dass die Gleichberechtigung irgendwann kommt. Es dauert nur auf bisherige Weise viel zu lang. Damit es schneller geht, brauchen wir die Quote. Frauen sollen zur Hälfte mitbestimmen – das ist nicht zu viel verlangt und für alle besser.
Stärke ist etwas ganz Individuelles. Wenn wir uns zusammenschließen und uns gegenseitig unterstützen, können wir vor allem in der Breite Stärke entfalten. In dieser Hinsicht können wir von den Männern lernen, die über Generationen hinweg geübt haben, Seilschaften zu bilden. Da können wir Frauen noch strategischer vorgehen.
Frauen sind wahnsinnig engagiert in der Gesellschaft: In Elternbeiräten und im Verein sind sie immer die Kuchenbäckerinnen. Ich wünsche mir, dass die Frauen wegkommen von diesem fleißigen Dasein im Hintergrund. Dass Frauen künftig sagen: Wir wollen nicht nur den Kuchen zum Tisch tragen, sondern wollen auch mit am Tisch sitzen und mitbestimmen, wie der Kuchen verteilt wird. Wir brauchen mehr Frauen, die mit uns Politik machen und die Staatsgewalt aktiv ausüben und diese Verantwortung auch mittragen.
Männliche und weibliche Perspektiven in der Politik
Wie es sich anfühlen könnte, wenn mehr Frauen in der Kommunalpolitik aktiv wären, erlebte Claudia Alfons auf der Bürgermeisterinnenkonferenz 2024 in Schaffhausen in der Schweiz. „Da habe ich gemerkt, wie entspannt das ist, in einen Raum zu kommen nur mit Frauen. Es ist einfach was anderes. Und ich dachte: So muss es meinen männlichen Kollegen jeden Tag gehen.“ Ihrer Überzeugung nach sollten Frauen in politischen Ämtern und Gremien paritätisch vertreten sein. Und zwar nicht den Frauen zuliebe, sondern weil es wichtig sei für uns als Gesellschaft. „Es braucht einfach beide Perspektiven. Es ist falsch, so zu tun, als wäre die männliche Sicht- und Herangehensweise allumfassend und ausreichend.“
Sie sieht darin auch eine Chance, die krisengeschüttelte Demokratie aus der Misere zu führen. Ihrer Ansicht nach stellen Frauen als „zweite Hälfte der Bevölkerung“ wichtige Ansprechpartnerinnen und Identifikationsfiguren dar. Sie könnten dazu beitragen, dass Bürgerinnen und Bürger wieder mehr Vertrauen in Demokratie und Politik gewinnen. „Es geht nicht darum, welches Geschlecht das bessere ist. Frauen bringen andere Perspektiven und Herangehensweisen in die Politik ein. Und diese neuen Sichtweisen sind bereichernd, und davon können wir noch mehr gebrauchen.“
Frauen in der Politik
Ob auf Bundes- oder Landesebene – Frauen sind in der Politik nach wie vor in der Minderheit. Die Bayerische Staatsregierung stellt die Gleichstellung regelmäßig auf den Prüfstand und setzt sich für mehr Chancengerechtigkeit ein. Einen Überblick über die aktuelle Situation und die verschiedenen Schwerpunktthemen finden Sie auf unserer Themenseite zur Frauenpolitik.
Oberbürgermeisterin und Mutter
Mit ihren beruflichen Erfahrungen im öffentlichen Dienst war Claudia Alfons für das Amt der Oberbürgermeisterin gut gerüstet, denn sie kannte unter anderem die Abläufe in der Verwaltung. Aber sie betont, dass sie in erster Linie eine Bürgerin der Stadt ist: „Ich übe dieses Amt hauptberuflich aus. Aber ich bin trotzdem einfach noch Bürgerin. Es ist mir wichtig, dass das sichtbar bleibt.“ Als Mutter von zwei Kindern im Kindergartenalter kennt sie die Sorge, zu wenig Zeit mit den Kindern zu verbringen und dies später zu bereuen. Doch in der Zeit mit ihren Kindern ist sie zu einhundert Prozent da. Und sie hofft, auch für sie etwas zu verändern: „Mir ist dieses gesellschaftliche Engagement wichtig. Und mir ist es auch wichtig, es meinen Töchtern vorzuleben.“ Sie möchte Frauen ermutigen, in die Politik zu gehen, und rät ihnen, nicht auf den perfekten Zeitpunkt zu warten, denn den gebe es nicht. Für viel entscheidender hält Claudia Alfons die Unterstützung durch Familie, Freunde und vor allem den Partner. Ihr Mann unterstützt ihr politisches Engagement aus Überzeugung und steht ihr bei allen Schritten ihrer beruflichen Karriere zur Seite. Daher hat er Elternzeit genommen und kümmert sich derzeit um die Kinder.
„Mein Mann ist derzeit in Elternzeit und organisiert dankenswerterweise unseren gesamten Alltag. Das gibt mir den nötigen Freiraum für meine Arbeit.“
Traut euch!
Lindau ist eine Stadt mit 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Themen auf der Agenda der Oberbürgermeisterin sind komplex und reichen von bezahlbarem Wohnraum über Schulen und Ganztagsbetreuung für Kinder bis zu Parkplatzproblemen in der Altstadt. Darüber hinaus möchte Claudia Alfons Bürgerinnen und Bürger stärker einbinden: „Transparenz schaffen, Bürgerbeteiligung ermöglichen, gut informieren, nachvollziehbare Entscheidungen treffen – das sind Dinge, an denen wir aktuell arbeiten.“ Sie hofft, dass mehr Menschen die bestehenden Beteiligungsformate in den Kommunen wie beispielsweise Bürgerversammlungen nutzen, um mit anderen Akteuren ins Gespräch zu kommen. Sie freut sich über Frauen, die mit dem Gedanken spielen, in die Politik zu gehen, und rät ihnen: „Einfach machen und ausprobieren! Man kann überall mal reinschnuppern. Frauen können zum Beispiel für den Gemeinderat oder Stadtrat kandidieren. Oder sie engagieren sich im Ortsverband einer Partei, ohne selbst Mandatsträgerin zu sein.“
„Entscheidend ist, dass Frauen mit dazu beitragen, Meinungen zu bilden und Positionen zu entwickeln.“