Belebt den ländlichen (T)Raum
Bachelor of Arts, Managerin, Vorstandsmitglied, Vorständin, Gemeinderätin: Mit gerade mal 24 Jahren hat Lisa-Marie Schmitt schon mehr Karrierestationen erreicht und erfolgreich ausgefüllt als viele in Würden ergraute Herrschaften. Sie nutzt die Vorteile ihrer kleinen Heimatgemeinde, hier sind die Wege von Mensch zu Mensch kurz und persönliche Stärken werden schneller entdeckt. Ihr Ziel: Perspektiven für junge Menschen schaffen und den ländlichen (T)Raum beleben! Erfahren Sie mehr ...
Lisa-Marie Schmitt: Zukunft fürs Land!
Lisa-Marie Schmitt, geboren 1998, wuchs in Üchtelhausen im Landkreis Schweinfurt (Unterfranken) auf. Die Gemeinde liegt in der Schweinfurter Rhön (auch: Naturraum Hesselbacher Waldland), einer hügeligen, waldreichen und eher dünn besiedelten Landschaft. In den 70er-Jahren wurden mehrere Dörfer und Weiler in die Gemeinde Üchtelhausen eingegliedert; heute leben hier knapp 3.900 Menschen. Lisa-Marie Schmitt ist im Ortsteil Hesselbach verwurzelt, einem einstigen Pfarrdorf. Nach der Schule zog sie für ihr Marketing-Studium nach Nürnberg. Anders als viele Gleichaltrige kehrte sie nach dem Abschluss sofort in ihre Heimat zurück. Hier will sie nicht nur leben, sondern etwas bewegen. Seit ihrer frühen Jugend engagiert sie sich in Vereinen – und jetzt auch in der Politik: 2020 wurde Lisa-Marie Schmitt in den Gemeinderat von Üchtelhausen gewählt. Dort gibt sie der jungen Generation eine Stimme und der Zukunft ihrer Region ein Gesicht.
Jugend im Dorf: Idylle mit kleiner Delle
Das einstige Pfarrdorf Hesselbach hat auf Online-Landkarten genau drei Markierungen: Rathaus, Bauhof und Sportclub. Im Nachbardorf sind es die Kapelle und die Sängerfreunde und im nahe gelegenen Weiler gibt es gar keine Ortsmarken, sondern nur drei Straßen und eine Handvoll Gebäude. „Viel Fläche, wenige Menschen“, beschreibt Lisa-Marie Schmitt ihre Kindheitsregion und lächelt: „Wir hatten wirklich viel Platz.“ Ein riesiger Garten, dahinter gleich die Felder, umgeben vom Hesselbacher Waldland: Für Lisa-Marie, ihren Bruder und die anderen Kinder ist die Gemeinde Üchtelhausen in den frühen 2000er-Jahren ein großer, wunderbarer Spielplatz. „Wir hatten viel Freiheit. Man musste sich nie Gedanken machen über Gefahren, zum Beispiel auf dem Weg zur Schule. Und als wir älter waren, konnten wir abends aus dem Nachbardorf heimlaufen.“
Die Idylle bekommt eine kleine Delle, als Lisa-Marie aufs Gymnasium wechselt. Im Ort gibt es keines, also muss sie ins zwölf Kilometer entfernte Schweinfurt fahren. Nicht mit dem Elterntaxi, Mutter und Vater sind berufstätig, sondern mit dem Bus. Dorfkinder, das ist für Lisa-Marie Schmitt gewiss, stehen mit dem ÖPNV, dem Öffentlichen Personennahverkehr, auf Kriegsfuß. Während die Schweinfurter Kinder noch im Bettchen träumen, sitzt sie jeden Morgen um 6 Uhr 15 im einzigen Bus. Mit ein paar anderen Dorfkids kommt Lisa-Marie als Erste in der Schule an. „Da haben wir halt die übrigen Hausaufgaben gemacht.“ Als sie ein paar Jahre später ins Nachtleben startet, teilt sie sich mit anderen ein Taxi. Trotzdem, Lisa-Marie Schmitt genießt ihre Dorfjugend, die Nähe zu den Menschen, das gesellige Leben, den Freiraum. Aber dass nicht nur vieles bewahrt, sondern auch manches verändert werden muss für eine gute Zukunft im ländlichen Raum: Davon ist sie schon früh überzeugt.
Nestflucht (bis Kilometer 127)
Lisa-Marie Schmitt ist eine G8-Schülerin; mit 18 macht sie Abitur. „Ich wollte ein Jahr ins Ausland gehen, mal einen Tapetenwechsel haben, erwachsener werden.“ Sie liebäugelt mit einer Au-pair-Stelle. Als das nicht klappt, lotet sie in der Studienberatung ihre Perspektiven aus – in ihrer Heimatregion, denn hier will sie langfristig leben. Schweinfurt ist eine Stadt der Großindustrie, die sich mehr und mehr auf die Zukunft ausrichtet, von Medizintechnik bis E-Mobilität. Also entscheidet sich Lisa-Marie für internationales Marketing und Management: ein Fach, das ihr die Tore in die Welt öffnet und gleichzeitig eine Karriere daheim. „Ich hab geguckt, wo ich gern studieren würde. Auf jeden Fall möglichst weit weg.“ Nestflucht ist angesagt. Es wird dann Nürnberg. Nicht so richtig weit weg, 127 Kilometer, eineinhalb Autostunden, aber doch eine andere Welt, „ich kam aus einem 1.000-Einwohner-Dorf in eine Metropole!“, sagt Schmitt. Sie sucht sich eine private Hochschule aus, die findet sie familiär, die Gruppen sind klein, die Lehrkräfte nahbar.
Am Wochenende flitzt sie, nein, nicht in die Clubs von Bayerns zweitgrößter Stadt, sondern auf die Autobahn und heim nach Hesselbach. „Ich war erst 18, mir fehlten die Eltern, die Freunde. Meine Freundinnen hatten alle nach der Schule eine Ausbildung gemacht und waren dortgeblieben ...“ Im Praxissemester schnuppert sie in ein Industrieunternehmen in Schweinfurt und spürt, dass sie im Marketing genau richtig ist: „Ich bin gern kreativ und drücke mich durch meine Arbeit aus.“ Mit dem Bachelor in der Tasche findet sie einen Job in Oberfranken, „total cool, aber weit weg“, erst pendelt sie, während der Corona-Lockdowns richtet sie sich im Elternhaus zwischen den Kinderzimmermöbeln ein Homeoffice ein. Sie wechselt den Job, jetzt arbeitet sie 20 Kilometer vom Heimatort entfernt. Wieder im Büro, endlich, „ich bin gern unter Kollegen, das hat mir im Homeoffice gefehlt, ich bin ein sehr geselliger Mensch.“
Gesellig sein und mitgestalten
Womit wir beim Dorfleben sind. Das ist so viel lebendiger und vielfältiger, als es die drei Ortsmarken auf GoogleMaps vermitteln. Und weil die Wege kürzer sind, besonders die von Mensch zu Mensch, kann man auch viel mehr mitgestalten. Lisa-Marie Schmitt spielt Saxophon und Klarinette; mit 14 wird sie in die Vorstandschaft der Musikjugend gewählt. „Mit 16 hieß es dann, ey, Lissi , du bist doch meistens vornedran ...“ Lisa-Marie Schmitt versteht den Wink, kandidiert und wird Vorständin. Musikjugend ist kein Kinderspiel. Schmitts Herausforderung: Wie motiviere ich Jugendliche, ein Instrument zu spielen? Die Veranstaltungen des Musikvereins sprechen alle Kinder und Jugendlichen an, von der Faschingssitzung bis zum Ausflug in den Freizeitpark. „Uns geht es vorrangig um die Jugendarbeit“, betont Lisa-Marie Schmitt. Doch wenn die Kids sich bei den Unternehmungen wohlfühlen, entsteht eine Bindung zum Verein – und manchmal springt auch der musikalische Funke über.
Lisa Marie Schmitts FOMO
„Fear of missing out“, kurz FOMO, ist die Sorge, etwas zu verpassen: eine wichtige Information, ein tolles Erlebnis, eine kostbare Erfahrung. „Ich leide extrem am FOMO“, grinst Lisa-Marie Schmitt. „Denn bei uns ist eigentlich immer was los. Wir lassen es uns nicht nehmen zu feiern, mal der Geburtstag im Garten, in der Garage oder im Partykeller, vier Tage Kirchweih und natürlich die Weinfeste in der Mainregion...“ Liebe Menschen in den Städten: Party-Areas gibt’s auch im ländlichen Raum. Sie heißen nur anders.
Auch einen Sportverein hat ihr Heimatdorf, „ein Glück“, sagt Lisa-Marie Schmitt, „so können Kinder und Jugendliche Sport machen, ohne dass die Eltern sie fahren müssen.“ Die Auswahl ist überschaubar. „Ab der ersten Klasse haben die Mädchen Korbball gespielt und die Jungen Fußball.“ Also spielte Lisa-Marie Schmitt Korbball, 15 Jahre lang; seit sie vom Feld abgetreten ist, betreut sie die 12- bis 15-jährigen Mädchen, begleitet sie zu Spielen und unterstützt die Trainerin. „Ich habe eigentlich nie sooo gerne Korbball gespielt“, gibt sie heute zu. „Aber ich habe da eben meine Freunde getroffen, nach dem Training haben wir zusammengesessen ...“ Und sie sagt auch: „Ich möchte nicht unbekannt sein und ich möchte auch mehr über andere erfahren. Ich mag das Gemeinsame.“
„Mit Kindern umzugehen, mich um alles zu kümmern: Das war schon eine Challenge“, beschreibt Lisa-Marie Schmitt. „Ich war ja selbst noch fast ein Kind.“ Im Verein organisiert sie die Aktivitäten für 6- bis 14-Jährige. Bei der Übernachtungsparty irgendwann das Kommando `Licht aus!´ geben? Mäßig lustig. „Aber wir sind alle zusammen aufgewachsen, wenn man sich kennt, dann klappt das.“ Schon als Jugendliche entwickelt Lisa-Marie Schmitt ihre Führungsqualitäten. „Ich habe gelernt, Gleichaltrige zu führen, Ältere anzuweisen und Aufgaben zu koordinieren. Ich bin Ansprechpartnerin für alles, wenn was schiefläuft.“ Doch sie will nicht nur managen und Probleme lösen, sondern auch etwas bewegen, die Vereine voranbringen. „`Ey, das haben wir doch immer so gemacht´: Mit diesem Satz habe ich Probleme“, sagt sie. Zum Beispiel, wenn sich zur Ostereiersuche oder zur Nikolausfeier ein zehnköpfiges Orga-Team anmeldete, aber nur ein oder zwei Kinder. „Dann habe ich das eben abgesagt.“
In der Pubertät habe ich schon auch mal gedacht: Es wäre schön, frei von den ehrenamtlichen Verpflichtungen zu sein. Aber unser Dorf ist klein und im Verein sind alle meine Freunde.
Volljährig. Fast erwachsen. Gemeinderätin!
Und dann stehen in Üchtelhausen mal wieder Gemeinderatswahlen an. Ein Bekannter von Lisa-Marie Schmitt will sich ums Bürgermeisteramt bewerben und sucht Kandidatinnen und Kandidaten für seine parteilose Wählergemeinschaft. „Der stand eines Tages bei mir vor der Tür und fragte, ob ich kandidieren will. Ich war hin- und hergerissen. Ich war gerade mit dem Studium fertig und dachte: Was, wenn ich einen Traumjob in Hamburg kriege?“ Doch sie lässt sich breitschlagen und findet ihren Namen in einer langen Liste von Interessierten wieder. Bei einer Nominierungsversammlung werden 16 Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt. Lisa-Marie Schmitt ist eine von ihnen und sie schafft es weit nach vorn, auf Platz 5.
Eine Stimme für die Jüngeren, frischer Wind für alle
Im Dorf erlebt sie viel Unterstützung. ´Ey, Lissi , wir wählen dich, weil wir wissen: Du stehst für unsere Interessen ein!`, sagen die Jungen. Und auch die Älteren, mit denen Lisa-Marie Schmitt kaum gerechnet hatte, bestärken sie: `Wir wählen dich, denn du bringst frischen Wind!´
Am Wahlabend kommen sie dann alle im Pfarrheim zusammen, mittendrin Lisa-Marie Schmitt, umringt von Freundinnen, Freunden, den Leuten aus ihren Vereinen. Einen Katzensprung entfernt im Rathaus werden die Stimmen ausgezählt, es zieht sich hin, Schmitt muss am nächsten Morgen früh raus, sie winkt in die Runde und geht heim. Und dann kommt die Nachricht: Lisa-Marie Schmitt hatte 825 Stimmen geholt, ist damit hochgerückt auf Platz 4 ihrer Liste und in den Üchtelhauser Gemeinderat gewählt. „Da habe ich dann überlegt: Was heißt das jetzt für mich? Ich war gerade erst 22 geworden, in dem Alter ist man volljährig, aber nicht erwachsen, man ist noch in der Schwebe. Ich konnte lange nicht einschlafen. Das ist ja keine Larifari-Aufgabe. Schließlich habe ich mir gedacht: Da sind Leute, die wählen dich und die vertrauen dir, die sind mehr von dir überzeugt als du selber: Das ist eine Ehre. Du versuchst einfach, deinen Auftrag bestmöglich umzusetzen.“
Gemeinderätin: Was heißt das jetzt für mich? Ich war gerade erst 22 geworden, in dem Alter ist man volljährig, aber nicht erwachsen, man ist noch in der Schwebe.
Der erste Sitzungstag des neuen Gemeinderats wird wegen der Corona-Lockdowns um einen Monat verschoben und in den größten Saal der Gemeinde verlegt: die Schulturnhalle. Hier können die Ratsmitglieder und Gäste mit dem nötigen Abstand sitzen. Die Rechte und Pflichten des Gemeinderats werden verlesen, der neue Bürgermeister und die Ratsmitglieder vereidigt. Auch die Presse ist dabei. Wie tritt man da auf? Lisa-Marie Schmitt ist klar, dass ihr Outfit keine Geschmacksfrage sein würde, sondern ein Statement. Nur Bluse oder auch Blazer? Sie entscheidet sich für den professionellen Auftritt und zieht den Blazer an.
Da sind Leute, die wählen dich und die vertrauen dir, die sind mehr von dir überzeugt als du selber: Das ist eine Ehre. Da versuchst du natürlich, deinen Auftrag bestmöglich umzusetzen.
Und dann wird die Presse hinausgebeten, die Saaltür geschlossen und das erste Thema diskutiert, in nichtöffentlicher Sitzung. Lisa-Marie Schmitt atmet tief durch. Gemeinsam mit ihren 16 Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat wird sie sich in den kommenden sechs Jahren tief in anspruchsvolle und komplexe Themen einarbeiten und unter anderem über Investitionen in der Gemeinde entscheiden. „Da geht es teilweise um viel Geld, wir bauen eine Kita neu, da reden wir von Millionensummen. Da habe ich auch im Hinterkopf, dass ich das auch finanzieren muss, als Steuerzahlerin: dass ich dafür geradestehen muss.“
Jung. Weiblich. Willkommen!
In ihren Vereinsämtern hatte Lisa-Marie Schmitt gelernt, eine Haltung einzunehmen und zu vertreten. Doch jetzt, im Gemeinderat, wird ihre Konfliktfähigkeit in einer neuen Dimension erprobt. „Bei den brisanten Themen gibt es selten Einigkeit“, schildert sie, „auch nicht unter uns Hesselbachern. Eigentlich bin ich harmoniebedürftig – aber ich kann mich nicht fügen, wenn ich eine andere Meinung habe.“ Wie schwer wiegt die Stimme der neuen, jungen, völlig unerfahrenen Gemeinderätin? „Mein Alter wurde nie gegen mich verwendet“, sagt sie. „Im Gegenteil, alle waren begeistert, dass endlich mehr jüngere Leute und auch mehr Frauen im Gemeinderat sind. Die Älteren haben mehr Know-how, klar. Ich habe sie gefragt, aber mir immer mein eigenes Bild gemacht.“
Mein Alter wurde nie gegen mich verwendet. Im Gegenteil, alle waren begeistert, dass endlich mehr jüngere Leute und auch mehr Frauen im Gemeinderat sind.
Miteinander reden: die Superpower der Menschen im Dorf
Wer neu ist im Gemeinderat, muss wie ein Schwamm Wissen aufsaugen, über neue Projekte und über Dauerbrenner, die das Gremium schon seit Jahren beackert. Lisa-Marie Schmitt arbeitet sich durch die Protokolle früherer Versammlungen. Die erhalten die Ratsmitglieder ausgedruckt auf Papier. Für Digital Natives wie Lisa-Marie Schmitt – die Generationen, die ganz selbstverständlich mit Smartphone, Web und Social Media aufwachsen – ein Anlass für einen sehr tiefen Seufzer. „Im Ausdruck kannst du nicht schnell mal auf die Suchtaste drücken und ein bestimmtes Stichwort finden.“ Auch in Büchern macht sie sich über die jeweilige Rechtsgrundlage schlau.
Vor allem aber nutzt Lisa-Marie Schmitt die Superpower der Menschen im Dorf: das persönliche Gespräch. Geht es um den Kita-Neubau, tauscht sie sich mit jungen Eltern über den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben und den Bedarf an Krippen- und Kindergartenplätzen aus, zum Bau einer Windkraftanlage befragt sie Menschen querbeet, das Thema ist hoch brisant im Ort, ein paar Jahre zuvor kam es zum Bürgerentscheid. „Damals war ich gerade 18 und durfte zum ersten Mal mitentscheiden.“
„Die Jugend erreicht man nicht übers Amtsblatt.“
Lisa-Marie Schmitt wird zur Jugendbeauftragten des Gemeinderats ernannt. 2021 unterstützt sie den Bürgermeister, der die erste Jugendbürgerversammlung online organisiert. Dass reine Info-Angebote Jugendliche nicht erreichen, versteht die Gemeinderätin gut. „Ich hatte ja selbst als Jugendliche nichts mit Politik am Hut!“ Deshalb möchte sie die jungen Menschen im Gemeindegebiet aktiv einbeziehen und vermitteln: „Da hört euch jemand zu! Was wollt ihr verbessern?“ Diese Einladung schickt sie auch über die sozialen Medien. „Die Jugend“, stellt Lisa-Marie Schmitt trocken fest, „erreicht man nicht über das Amtsblatt.“
Lisa-Marie Schmitts politisches Ziel: die jungen „Originals“ im Dorf halten
Der öffentliche Nahverkehr ist auch für die aktuelle Jugendgeneration im Ort ein Top-Thema. Doch Lisa-Marie Schmitt denkt noch ein paar Jahre weiter, an junge Paare und ihren Traum von Familie und Eigenheim. Sie denkt an Neubaugebiete. „Die Bevölkerung wird immer älter, die Jungen gehen weg.“ Bauland, sagt sie, ziehe nicht nur Menschen von außen an. Es mache das Dorf auch für die eigene Jugend attraktiv, locke sie nach der Ausbildung oder dem Studium eher in die Heimat zurück. „Die Zugezogenen sind weniger aktiv in den Vereinen und der Gemeinde als die Leute, die hier aufgewachsen sind. Diese `Originals´ müssen wir im Dorf halten!“
Das hofft Lisa-Marie Schmitt für ihre Region und für sich selbst, für ihre Zukunft im ländlichen Raum. „Ich will, dass meine Kinder mal so aufwachsen wie ich.“ ÖPNV-Ausbau und Neubaugebiete sind kurz gefasst Lisa-Marie Schmitts Programm, um den Nachwuchs für die Dörfer, das Dorfleben und das Ehrenamt zu sichern. „Die jungen Menschen wollen dableiben“, betont Schmitt immer wieder. „Sie fühlen sich in der Gemeinde so wohl. Und sie sorgen durch ihre Partnerinnen und Partner für Zuwachs.“
Ich will, dass meine Kinder mal so aufwachsen wie ich.
Die Aufgaben im Gemeinderat: so prall und bunt wie das Leben
Lisa-Marie Schmitt tüftelt sich durchs Baurecht, von A(bwasser) bis Z(ufahrt). Bei Bedarf lädt der Gemeinderat Fachleute ein, die das ehrenamtliche Gremium zum Beispiel über Fernwärme für Neubaugebiete informieren. Die Themenvielfalt ist so prall und bunt wie das Leben. Mal marschiert der Gemeinderat mit Förstern durch den Wald, lernt, welche Baumarten sich im Klimawandel robust behaupten, und entscheidet, welche Bäume gefällt werden sollen. Mal beschäftigt sich das Gremium einen Workshop-Tag lang mit dem Gemeindeentwicklungskonzept. Um über den Ausbau des Radwegenetzes zu entscheiden, schwingen sich die Ratsmitglieder in den Sattel, die nächste Exkursion führt auf den Bauhof. Alle vier Wochen ist Gemeinderatssitzung, eine Woche vorher erhält Lisa-Marie Schmitt ein Infopaket und die nötigen Dokumente.
Statt „Kirchturmdenken“: gemeinsame Stärken entdecken
Auf einen Arbeitstag pro Monat schätzt Lisa-Marie Schmitt ihren Aufwand als Gemeinderätin, dazu kommen Besichtigungen und Highlights wie die Einweihung des neuen Kindergartens. Wie in den Vereinen ist sie auch im Gemeinderat ehrenamtlich tätig. Ihre Aufwandsentschädigung, das Sitzungsgeld, reiche „auf jeden Fall für ein Getränk hinterher“, rechnet Lisa-Marie Schmitt um. Vor der Corona-Pandemie habe man sich nach den Sitzungen auf ein Glas zusammengefunden, „um die Wogen zu glätten“. Das war vor ihrer Zeit, Schmitt hofft, dass bald wieder mehr solcher Gemeinsamkeit möglich ist. Dieser informelle Austausch wirkt vielleicht auch gegen eine Nachwirkung der Gebietsreform, die sich immer wieder als Hemmnis bei Entscheidungen erweist: „Kirchturmdenken“ nennt es Lisa-Marie Schmitt. „Jeder denkt nur an seinen Ortsteil“, ärgert sie sich und zieht die Augenbrauen hoch. „Dabei haben alle neun Ortsteile schon zusammengehört, als ich noch gar nicht geboren war! Es wäre viel fruchtbarer, unsere gemeinsamen Stärken zu entdecken.“
Vereinsleben als Schule fürs politische Handeln
Vereine sind DIE sozialen Triebfedern im Dorf. Das eine gemeinsame Interesse bringt (und schweißt) die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Im Verein erleben schon die Jüngsten ein starkes Miteinander – und sie entdecken, was man gemeinsam bewegen kann. Etwas finden, was Menschen verbindet, alle Kräfte aufs gemeinsame Ziel richten und miteinander erfolgreich sein: Diese Erfahrung prägt auch Lisa-Marie Schmitts politisches Handeln.
„Ich habe gern Einfluss!“
Nach gut zwei Jahren als Gemeinderätin findet Lisa-Marie Schmitt: „Ich habe eine ganz neue Verantwortung übernommen und meine Stärken entdeckt. Ich bin an der Aufgabe gewachsen und enorm erwachsen geworden.“ Und sie weiß jetzt sicher: „Ich habe gern Einfluss!“ (Spätestens jetzt dürften Parteien, die Frauen für Führungspositionen suchen (also allen Parteien) die Ohren klingeln: Lesen Sie hier mehr zu Frauen in der Politik!) Bei der nächsten Gemeinderatswahl will sie wieder kandidieren. Vielleicht eines Tages auch für das Amt der Bürgermeisterin? Lisa-Marie Schmitt lacht erst und wird dann ernst. „Vom Typ her wäre ich prädestiniert. Aber ich bin komplett zufrieden mit unserem aktuellen Bürgermeister.“ Das ist übrigens nicht ihr Bekannter, der sie einst in die Kommunalpolitik lockte. „Aber“, lobt Lisa-Marie Schmitt, „er hat noch die Nähe zur Jugend.“
Lisa-Marie Schmitt: meine Botschaft
Häufig wird das weibliche Geschlecht leider immer noch unterschätzt. Wir Frauen müssen einfach präsenter und lauter sein, um unsere Meinung und Ansichten zu vertreten. Und manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen, um zu merken, zu was man tatsächlich fähig ist.